SPEZIALLEKTÜRE
: Invasion der Leser

Sie tragen beide insgesamt sieben Plastiktüten

In der Linie 7 sitze ich einer volluniformierten Polizistin mit Pferdeschwanz gegenüber. Merkwürdig, dass alle Polizistinnen mit Pferdeschwanz herumlaufen, aber viel merkwürdiger ist es, dass diese Pferdeschwanzpolizistin ein Buch liest. Ich meine das gar nicht pejorativ, denn warum sollen Pferdeschwanzpolizistinnen nicht auch mal ein Buch lesen, aber haben Sie schon mal eine gesehen, die in der U 7 sitzt, in voller Montur und in ein Buch vertieft ist? Na? Eben.

Jedenfalls liest sie und ich denke nur, na, wird schon so ein Buch sein. Wahrscheinlich „Wie werde ich eine gute Pferdeschwanzpolizistin“ oder „Stürmisches Verlangen“, irgend so was. Das ist nun eindeutig abwertend. Und weil ich mich selbst bei diesem fiesen Gedanken ertappe, lasse ich dezent ein Taschentuch zu Boden fallen, bücke mich und linse von unten auf den Buchumschlag. Es ist „Der Todestrieb“, die Memoiren von Jacques Mesrine, der in den siebziger Jahren Frankreichs Staatsfeind Nummer eins war und ein paar Polizisten erschoss, bevor er von einem polizeilichen Kugelhagel gründlich zersiebt wurde.

Das gibt mir zu denken. An der nächsten Ampel steht ein sehr elegant gekleideter 1,86 großer Mann in schwarzem Anzug, weißem Hemd mit Manschetten, mit schwarzem Schlips, Sonnenbrille und weißen Schuhen neben mir, also eine hier eher selten anzutreffende Erscheinung. Er hat ein Buch in der Hand mit dem Titel: „Anleitung zum Bürgerkrieg“.

Kurz vor meiner Wohnung laufe ich einem Pärchen über den Weg, dessen Alter schwer zu schätzen ist, weil gründlicher Alkoholmissbrauch eine genaue Schätzung erschwert. Sie tragen beide insgesamt sieben Plastiktüten. Er sagt zu ihr: „Fotze!“ Sie antwortet: „Stinktier!“

Ich dachte schon, in dieser Stadt würde etwas gründlich aus dem Ruder laufen, aber jetzt bin ich wieder beruhigt. KLAUS BITTERMANN