Mit Schnurrbart und neuem Stil

HANDBALLKUNST Obwohl die Rhein-Neckar Löwen nach dem Abgang ihres Mäzens weniger Geld zur Verfügung haben, sind sie derzeit das beste Team der Liga

■ Todesfall: Erhard „Sepp“ Wunderlich, langjähriger Profi des VfL Gummersbach, ist am Donnerstag im Alter von 55 Jahren einem Krebsleiden erlegen. Im Gedenken an den Weltmeister von 1978 sollen die Clubs der höchsten deutschen Spielklasse am Wochenende vorm Anpfiff eine Schweigeminute einlegen und mit Trauerflor spielen, das empfahl die Geschäftsführung der Handball-Liga. „Sepp war im Angriff das größte Talent, das wir je in Deutschland hatten, er besaß ein unglaubliches Potenzial“, sagte sein ehemaliger Mitspieler Heiner Brand. Wunderlich, der im Jahr 1999 zu Deutschlands Handballer des Jahrhunderts gewählt wurde, galt auch als unbequemer Querkopf und war für Mitspieler, Trainer und Funktionäre eine Reizfigur. Er vollbrachte besondere Leistungen und beanspruchte für sich oft Sonderrechte. So urteilte der ehemalige Nationalmannschaftskapitän Uli Roth einmal: „Der Sepp ist kein sportliches Problem, sondern ein menschliches.“ Mit Ausnahme von Olympiagold gewann der aus Augsburg stammende 2,04 Meter große Rückraumspieler alle nationalen und internationalen Titel, sowohl auf Klub- als auch auf Nationalmannschaftsebene.

MANNHEIM taz | Uwe Gensheimer trägt jetzt ein Büschel Haare zwischen Nase und Oberlippe, und natürlich wird das Schnauzbärtchen, das da neuerdings sprießt, ebenso heiß wie kontrovers diskutiert. Nationalspieler Gensheimer ist schließlich der Kapitän der Rhein-Neckar Löwen, ihr bekanntester Spieler, quasi ihr Gesicht – und wenn sich dieses Gesicht plötzlich verändert, dann bleibt es nicht aus, dass darüber gesprochen wird. Der Linksaußen registriert das mit einem gewissen Amüsement. Für all jene, die ihn nach dem Grund für das Bärtchen befragen, hat er sich sogar eine Standardantwort zurechtgelegt: „Das hat modische Gründe. Das ist der sogenannte Retrolook. Alles kommt irgendwann wieder, auch farbige Socken“, sagt Gensheimer dann.

Dabei ist der Look des 25-Jährigen keineswegs das Einzige, was sich bei dem Mannheimer Handball-Bundesligisten verändert hat; vielmehr tritt das ganze Löwen-Rudel mit neuem Gesicht auf, einem neuen Trend, oder wie immer man das nennen möchte. Thorsten Storm, der Manager, nennt es „Paradigmenwechsel“. Was sich dahinter verbirgt, formuliert wiederum Gudmundur Gudmundsson, der Trainer. „Wir haben neue Spieler, wir haben eine neue Mannschaft – und wir haben vor allem ein neues Konzept.“ Besonders darauf sind Storm und er stolz.

Das bisherige Konzept der Löwen war ja in etwa so, dass in den letzten Jahren mit sehr viel Geld eine ziemlich teure Mannschaft, gespickt mit allerlei Weltklassehandballern, zusammengekauft wurde, die stets vollmundig als einer der Titelaspiranten angepriesen wurde. Der dänische Schmuckhändler Jesper Nielsen (Pandora) zeichnete dafür verantwortlich. Er war bis vor kurzem Hauptsponsor und Aufsichtsratsvorsitzender der Löwen. Der eigenwillige Nielsen bestritt einen Großteil des Etats – und durfte dafür einen nicht geringen Teil der Entscheidungen treffen, auch personeller Art; nicht immer geschah das mit Sinn und (Sach-)Verstand. Die Folgen: wenig Kontinuität, nur mäßiger Erfolg, dafür jede Menge Ärger im Umfeld. Als Nielsen vor anderthalb Jahren erklärte, sich künftig mehr seinem Heimatverein AG Kopenhagen widmen zu wollen, hielt sich das Bedauern rund um die Mannheimer Arena jedenfalls in Grenzen.

Die damals eingeleitete Trennung ist zum Glücksfall für die Löwen geworden: Der einstmals millionenschwere Schmuckbaron ist mittlerweile pleite, AG Kopenhagen ebenso. Die Löwen indes sind mit einem blauen Augen davongekommen. Zwar mussten auch sie Abstriche an den von Nielsen vertraglich bis 2015 zugesicherten 15 Millionen Euro machen. Dessen ungeachtet sagt Storm: „Das hätte ganz anders ausgehen können für uns.“

Fest steht: Das Ende der Ära Nielsen ist für die Mannheimer ein Neuanfang. Um rund 2 Millionen Euro mussten sie ihren Saisonetat eindampfen, die Tage des Prassens sind vorbei. „Wir haben weniger Budget, aber das muss nicht heißen, dass wir schlechtere Spieler geholt haben“, sagt Storm mit Blick auf Neuverpflichtungen wie den schwedischen Olympiazweiten Kim Ekdahl Du Rietz, Alexander Petersson oder Torhüter Niklas Landin. Vielmehr scheint es so, als sei das Weniger an Geld durch ein Mehr an Konzept und Plan ersetzt worden. Das neue Löwenkonzept: Die erste Sieben steckt immer noch voller Qualität, die es auch braucht, um in der Bundesliga konkurrenzfähig zu sein. Dahinter aber wird auf Talente auch aus der Region oder gar dem eigenen Verein gesetzt. „Wir wollen Qualität selbst entwickeln“, sagt Storm. Dass dieses Konzept durchaus tragfähig ist, führte zuletzt Marius Steinhauser exemplarisch vor: Der 19-jährige Rechtsaußen kam vom Viertligisten HG Oftersheim/Schwetzingen und ersetzte bislang den bis dato verletzten Nationalspieler Patrick Groetzki.

Die Frischzellenkur scheint den Löwen gutzutun. Die ersten fünf Saisonspiele haben sie allesamt gewonnen. Als einziger Bundesligist sind sie noch verlustpunktfrei. Auch nach dem heutigen Spiel gegen den TBV Lemgo soll das so sein. „Alle brennen“, sagt Trainer Gudmundsson. „Selbst im Training will die eine Mannschaft gegen die andere gewinnen“, hat Manager Storm beobachtet. Als eine „Frage der Einstellung und Mentalität“ bezeichnet er das. Auch diese hat sich geändert. „Einer ist für den anderen da. Das war in der Vergangenheit nicht immer so“, sagt zudem Spielmacher Andy Schmid. „Bei uns herrscht ein neuer Teamspirit“, fasst Trainer Gudmundsson all das zusammen.

Größere Ziele wollen die Löwen aus alldem indes nicht ableiten. „Wir wollen eine Mannschaft entwickeln, die über Jahre zusammenbleibt. Der Rest ergibt sich“, sagt Thorsten Storm stattdessen. Es scheint, als hätten sie aus der jüngsten Vergangenheit tatsächlich ihre Lehren gezogen.

FRANK KETTERER