Kommentar Klimapolitik: Wir müssen nur wollen

Merkel will das Klimaziel nicht anheben. Dabei gibt es genug Wissen, Experten und Technik, um es zu erreichen – es bräuchte nur eine Allianz.

Gebündelte Pappe

Mülltrennung ist ja schön und gut – reicht aber nicht, um den Klimawandel zu stoppen Foto: unsplash/ Alfonso Nvarro

Alle Deutschen sind Mülltrenner, gefühlt jedenfalls. Fast zwei Drittel wollen keinen Strom aus Kohlekraftwerken. Und sie finden, dass die Bundesregierung zu wenig tut, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Die Hitze und das eigene Zutun zum Klimawandel lieferten zuletzt Diskussionsstoff am Strand oder im Freibad. Auch bei der Bürgersprechstunde der Bundesregierung war das Klima gerade ein dominierendes Thema. Und sogar Anne Will talkt über Bauern in Zeiten der Dürre.

Am Ende eines Sommers, der allen außer den Realitätsverweigerern der AfD die Erderwärmung als drängendstes Menschheitsproblem in Erinnerung gerufen hat, öffnete sich ein Fenster für eine andere Politik. Die Voraussetzungen für eine klimapolitische Offensive von und in Deutschland sind ideal. Die Bundesregierung, die diese Woche wieder ihre Arbeit aufgenommen hat, könnte jetzt einen umfassenden Klima-Aktionsplan auf den Weg bringen.

Aber Angela Merkel hat dieses Fenster mit aller Entschiedenheit gleich wieder zugeschlagen. Im ARD-„Sommer­interview“ lehnte sie es ab, mehr Ehrgeiz in der Klimapolitik zu entwickeln. „Im Moment“, sagte die Bundeskanzlerin, sei sie „nicht so glücklich“ über Vorschläge aus Brüssel, das Klimaziel von 40 auf 45 Prozent zu heben. Viele EU-Staaten erreichten doch schon die bis 2020 gesetzten Ziele nicht, merkelte die Kanzlerin. Als ob das die eigene Untätigkeit erklären würde. Als ob es diesen Sommer nicht gegeben hätte.

Die Union zumindest beschäftigt sich lieber mit der Frage, ob es falscher ist, mit der Linkspartei zu liebäugeln oder die AfD zu imitieren. Und die Spitze der Sozialdemokratie ist aus den Sommerferien mit der Erkenntnis zurückgekommen, dass ihr Parteinamen mit einem S beginnt.

Keine Lobby

Das Klima hat in keiner der Regierungsparteien eine Lobby. Man kann der SPD nun nicht guten Gewissens raten, sich den Klimaschutz als Markenkern zu verordnen. Aber die rasante Erderhitzung wartet nicht, bis die deutschen Parteien mit ihrer Selbstfindung fertig sind.

Im Hakeln von CDU und CSU, von Union und SPD, von Regierung und Opposition, von Industrie und Politik wird eher Tuvalu versinken als eine entschlossene Klimapolitik am Horizont aufsteigen. Dabei ist nicht weniger gefordert als sofortiges, mutiges und insbesondere gemeinsames Handeln. Wir brauchen den Umbau der Industriegesellschaft weg von Kohle, Öl und Gas, eine neue Gründerzeit voller Ideen für saubere Techniken, Energien und Produkte, genauso wie Hilfe für die bereits vom Klimawandel Betroffenen lokal wie global.

Das Klima kennt weder Parteibuch noch Grenzen. Was wir brauchen, ist eine Allianz

Aber dieser Aufbruch funktioniert nur in einer breiten Al­lianz von Regierung, Parteien, Institutionen und der Wirtschaft jenseits partei- und interessenpolitischer Schattenspiele. Denn das Klima kennt weder Parteibuch noch Grenzen.

Der Techniksoziologe Ortwin Renn postuliert, dass systemische Risiken wie die Erdüberhitzung permanent unterschätzt würden. Der Mensch nimmt nun einmal plötzlich auftretende Katastrophen viel intensiver wahr. Es ist deshalb die Aufgabe der gesamten Gesellschaft, das Bewusstsein zu fördern.

Jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür

Unternehmen brauchen klare Ansagen, was sie unter welchen Umständen auch in der Zukunft produzieren können; Menschen können überzeugt werden, dass anders leben nicht nur Verzicht, sondern auch Gewinn bedeuten kann. Und die Teile der Gesellschaft, die nicht überzeugt werden wollen, müssen reguliert werden.

Jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür. Jeder und jede kann im eigenen Alltag handeln. In der Hand eines und einer jeden liegt es auch, den notwendigen politischen Druck auf Regierung und Institutionen zu erzeugen. Die Bundesregierung könnte einen schnellen Ausstieg aus der Braunkohle beschließen, den die „Kohlekommission“ sozial abfedern muss; sie könnte in Brüssel bei neuen CO2-Grenzwerten für Autos nicht bremsen.

Sie könnte in der Reform der EU-Agrarpolitik auf mehr statt weniger Umwelt- und Klimaschutz drängen; sie könnte sich endlich ernsthaft um energieeffiziente Gebäude sorgen; sie könnte ihren eigenen Haushalt von umweltschädlichen Subventionen in Milliardenhöhe befreien. So würde Deutschland seiner Verantwortung als treibende Kraft gegen die Erderwärmung gerecht.

Es ist möglich, der Entwicklung eine andere Richtung zu geben. Wir haben das Wissen, die Experten, die Techniken und auch das Geld dafür. Wir müssen es nur wollen. Die Klimakanzlerin könnte mit einer Klima-Allianz Führung und Größe zeigen, wie sie es bei anderen Großkonflikten, der Ukraine-Krise oder auch den Iran-Verhandlungen getan hat – wenn sie nur wollte. Das hieße dann regieren statt reagieren.

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taz-Chefredakteurin, Initiatorin der taz-Klima-Offensive und des taz Klimahubs. Ehemals US-Korrespondentin des Tagesspiegel in Washington.

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