Verlängerter Bulgarien-Urlaub

Hanna Kretschmar konnte nicht wie geplant die Rückreise antreten. Der DDR-Vertretung in Varna war’s egal

Foto: privat

In den Sommerferien 1968 schickten mich meine Eltern für mehrere Wochen zu Freunden nach Trakata an die bulgarische Schwarzmeerküste. Ich war damals 15 Jahre alt und es war meine erste Reise dorthin. Ich wurde von zwei älteren Freundinnen begleitet. Mit dem Zug brauchten wir von Karl-Marx-Stadt bis nach Varna mehrere Tage.

Die Rückfahrttickets waren für den 23. August gebucht. Und dann kam unsere Gastgeberin Nevena und sagte: „Da ist etwas in der Tschechoslowakei passiert, es fahren keine Züge mehr!“ Ich war sehr aufgeregt und fand schließlich heraus, dass es in Varna eine Vertretung der DDR gab.

Doch eine Frau, auf die ich dort zufällig stieß, ließ mich abblitzen. Sie könne nichts für mich tun. Jahre später habe ich mich gefragt, warum die DDR gar nicht versucht hat, ihre Staatsbürger aus solch einer Situation herauszuholen. Diese Erfahrung in Varna war so etwas wie der erste Sargnagel, der mein Bild von diesem Staat getrübt hat.

Nevena hat mich dann jeden Tag in ihre Firma mitgenommen. Dort hörte ich auch BBC auf deutsch. Es war von Schüssen in der DDR die Rede und davon, dass die gesamte Tschechoslowakei ein Kriegsgebiet sei. Von Nevenas Büro aus erreichten wir endlich telefonisch meine Mutter, ebenfalls auf ihrer Arbeitsstelle. Denn meine Eltern hatten zu Hause noch kein Telefon. Sie sagte: „Bleib erst mal da!“, denn es kursierten Horrormeldungen, eine Rückfahrt würde mehrere Wochen dauern. Geld hatte ich zum Glück noch genug, denn meine 200 Ost-Mark hatte ich mir sorgfältig eingeteilt.

Meine Freundinnen und ich erwischten den ersten Direktzug nach Hause, die Rückreise verbrachten wir stehend. Als ich wieder in die Schule ging, wunderte ich mich, dass in einer Seitenstraße ganz viele Panzer standen. Übrigens hatte meine Mutter noch Geld für mich nach Bulgarien geschickt. Der Brief ist nie angekommen.

Protokoll Barbara Oertel