Die Älteren pflegen

Hans Christoph Buch erinnert sich in „Stillleben mit Totenkopf“ an Reisen und Menschen. Dabei wird ihm sein eigener Einflussverlust zum Problem

Von Frank Schäfer

Hans Christoph Buch ist ein weit gereister, weltläufiger Autor, einer, der zu oft weg war, in Haiti, den USA oder Afrika, als bei den Stehempfängen des Literaturbetriebs Gesichtspflege tunlich gewesen wäre. Und auch einer, der keine Scheu hatte, als Reporter in die gerade kurrenten Kriege zu ziehen oder fürs Fernsehen zu schreiben. Alles Faktoren, die vielleicht dafür gesorgt haben, dass die großen Literaturpreise an ihm vorbeigegangen sind. Ein bisschen kratzt das schon an seinem Ego.

In „Stillleben mit Totenkopf“, einer Sammlung eher unverbundener autobiografischer Essays, die man gern auch „Roman“ nennen darf, weiß er noch einen anderen Grund – den „besinnungslosen Jugendkult“ im deutschen Literaturgeschäft, der dafür sorge, dass seine Alterskohorte, die 68er, „als Modernisierungsverlierer zu Dauerarbeitslosen werden“. Arbeitslos ist er zwar nicht, aber auch er muss schon mal in kleineren Verlagen publizieren, weil sich die großen nicht mehr sonderlich für ihn interessieren.

Willkommen in meiner Welt, würde ich ihm gern zurufen, aber bei ihm hat das andere Gründe. „Ihre Generation ist auf dem Markt nicht mehr vermittelbar“, erklärt ihm eine bekannte Literaturagentin. Dass auch er mal, als Sohn eines hochrangigen Diplomaten, unter ziemlich splendiden Bedingungen angetreten ist und seine frühen literarischen Erfolge vielleicht nicht allein seinem großen Talent geschuldet sind, reflektiert er nicht, nur sein mählicher Einflussverlust wird ihm zum Problem, und so wettert er, durchaus pro domo, gegen einen Zeitgeist, „der Autoren, die keine Bestseller schreiben und ein gewisses Alter erreichen, die Rote Karte zeigt“.

Sein Befund ist damit nicht falsch. Wo sind die einstigen Stars – Buch nennt sie absichtlich nicht, um ihnen nicht noch mehr zu schaden, in einem Spiegel-Artikel vor Jahren war er da nicht so zimperlich –, wer liest noch Born, Fries, Theobaldy, Kunert, Piwitt und all die anderen? Sie werden marginalisiert, wo doch eigentlich die erste Werkausgabe anstehen müsste.

Auch Buchs Warnung, die Gesellschaft schade sich damit nur selbst, denn sie verliere nicht weniger als ihr „kulturelles Gedächtnis“, kann man durchaus zustimmen. Diese kursorischen Memoiren sind folglich auch eine Probe aufs Exempel. Sie sollen beweisen, was uns alles entgeht, wenn man das Werk der Älteren nicht pflegt.

Scherben des früheren Ich

Eine ganze Menge. Buch fährt einiges auf. Er rekapituliert kaum vorhandene Erinnerungen an den Bombenkrieg, Buch ist Jahrgang 44, die er mit grauenvollen Augenzeugen- und Lokalzeitungsberichten nachträglich koloriert. Er erzählt von seinen Reisen – an den Oberlauf des Missouri, den Spuren des deutschen Ethnologen Maximilian zu Wied folgend, der die Indianer erforschen will, oder nach Haiti, wo Militärs bei den ersten freien Wahlen 1987 ein grausames Gemetzel anrichten. Und er rapportiert seine Zeit als Kriegsreporter, die ihn zum verrohten Zyniker macht.

Hier zeigt sich eine der Stärken dieses Memoirs, Buch will nicht um jeden Preis gut wegkommen, er steht mitunter fassungslos vor den Scherben, die sein früheres Ich hinterlassen hat. „Im November 1995, kurz nach meiner Rückkehr aus Grosny, starb meine Mutter, und ich schäme mich noch heute wegen der Rohheit, mit der ich ihr zu verstehen gab, die tödliche Krankheit, an der sie litt, sei harmlos im Vergleich zu den Kriegsgräueln, die ich in Ruanda und Tschetschenien erlebt hatte.“

Porträts von bekannten und befreundeten Künstlern nehmen großen Raum ein. Seine Begegnungen mit intellektuellen Schwergewichten wie Ludwig Marcuse, Heiner Müller, Joseph Brodsky oder Susan Sontag lesen sich manchmal ein wenig ehrpusselig. Instruktiv und sprachlich elegant sind auch diese Skizzen, empathischer allerdings kann er über Menschen schreiben, mit denen er die Randlage teilt.

So gelingen ihm liebevolle, gerechte Konterfeis von „Helden des Rückzugs“ wie dem Dichtermaler Fritz Grasshoff und dem einst gefeierten Essayisten Lothar Baier, der vielleicht auch aufgrund seiner wachsenden Isolation und, wie er selbst in seinem Abschiedsbrief schreibt, infolge einer „Akkumulation von Niederlagen, von Demütigungen und von Versagen“ sich 2004 das Leben nimmt. Der „Ausstieg aus dem Literaturbetrieb“, das zeigt ihm der Fall Baier überdeutlich, ist eben auch „keine realistische Option“. Hans Christoph Buch wird also weiterschreiben.

Hans Christoph Buch: „Stillleben mit Totenkopf“. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a. M. 2018, 249 Seiten, 20 Euro