Abschluss der Para-EM in Berlin: Verpasste Gelegenheit

Bei der EM der paralympischen Leichtathleten landet das deutsche Team nur auf Platz fünf im Medaillenspiegel. Und auch sonst läuft es nicht rund.

Der Weitspringer Markus Rehm landet im Sand

Immerhin: Markus Rehm gewinnt die Goldmedaille Foto: dpa

BERLIN taz | Markus Rehm ist übers Ziel hinausgeschossen. Der unterschenkelamputierte Weitspringer landete am Samstag bei 8,48 Metern und rutschte aus der Sprunggrube, nie zuvor war ein Paralympier weiter geflogen.

Mit diesem Wert wäre Rehm auch locker Europameister der Nichtbehinderten geworden, er hätte sogar Chancen auf eine Olympia-Medaille. „Es ist mein Ziel, die Grube kurz aussehen zu lassen“, sagte Markus Rehm.

Der Weltrekord Rehms war der Höhepunkt der Para-Europameisterschaften in Berlin. Organisatoren und Vertreter des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) lobten sich am Sonntag gegenseitig für ihre „rundum gelungene“ Veranstaltung. Bei näherem Hinsehen wird aber deutlich: Gemessen am Potenzial der Sportmetropole Berlin war das höchstens Durchschnitt.

Vor allem das Zuschauerinteresse lag weit unter den Erwartungen. Nur wenige tausend Tickets wurden verkauft, die große Mehrheit der fast 30.000 vergebenen Karten ging an Schüler, Sponsoren und Partner. Als Ursachen werden die zu spät erfolgte Werbung und die mangelnde Zusammenarbeit mit der olympischen Leichtathletik diskutiert. 2017 verfolgten 300.000 Zuschauer die WM in London.

Regionale Unterschiede

Auch die sportliche Bilanz ist mäßig. Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe belegte das deutsche Team Platz fünf des Medaillenspiegels, mit 36 Medaillen, elf in Gold. Polen, die Ukraine und Großbritannien waren erfolgreicher. „Wir waren hier mit vierzig deutschen Athleten am Start“, sagte Bundestrainer Willi Gernemann, „aber es hätten auch gern 60 sein können.“ Das Ergebnis macht deutlich: In der paralympischen Kernsportart gehört Deutschland nicht zur Spitze.

Willi Gernemann wünscht sich von 17 Landesverbänden des DBS eine größere Fokussierung auf den Leistungssport: „Wir wollen Talente per System finden, nicht per Zufall.“ Große Hoffnungen ruhen unter anderem auf den siegreichen Läufern Felix Streng, Lindy Ave und Nicole Nicoleitzik. Bei der Europameisterschaft in Berlin feierten zwölf deutsche Sportler ihre internationale Premiere.

Zumindest das Interesse der Medien war so groß wie selten zuvor in Deutschland. „Trotzdem steckt unsere Bewegung noch in den Kinderschuhen“, sagt Heinrich Popow, der seine Laufbahn beendete. Der langjährige Sprinter und Weitspringer leitete neben dem Jahn-Stadion die „Running Clinic“ und machte junge Menschen mit Prothesen vertraut.

Mit dabei war ein 17-jähriges Mädchen, das Popow in Kiel kennen gelernt hatte. Er hält sie für ein großes Talent, doch im Norden Deutschlands gibt es für sie keinen Trainingsstützpunkt. Popow: „In manchen Regionen ist man aufgeschmissen.“ Popow ist für Bayer Leverkusen gestartet, einem Vorzeigeverein.

Infrastruktur des olympischen Sports wird gebraucht

Doch in anderen Regionen hätte er sich nicht so entfalten können. Das bevölkerungsreiche Bayern war bei der EM in Berlin nur mit einer Athletin vertreten. Es gibt dort wenige Vereine und Trainer, die Leichtathleten mit einer Behinderung an die Spitze führen können. Die Stützpunkte anderer Sportarten sind bundesweit verteilt: Für Schwimmen in Berlin, Rollstuhlbasketball in Hamburg, Skisport in Freiburg. So müssen Talente entweder umziehen oder sich dem Angebot vor Ort anpassen.

Trotz der medialen Präsenz gebe es viel Unwissenheit, berichtet Lars Pickardt, der Vorsitzende der Deutschen Behindertensportjugend. Immerhin: Seit vier Jahren gibt es den Schulwettbewerb „Jugend trainiert für Paralympics“, der an sein olympisches Pendant gekoppelt ist.

Die Experten sind sich einig: Für eine bessere Talentförderung braucht der paralympische Sport die Infrastruktur des olympischen Sports. In Berlin war das Gegenteil der Fall: Der Europäische Leichtathletikverband EAA zeigte wenig Interesse an den Paralympiern: Bei der EM der Nichtbehinderten im Olympiastadion und am Breitscheidplatz hielt sich die Werbung für die Para-Leichtathletik in Grenzen. Und auch paralympische Einlagenwettbewerbe gab es dort nicht. Bei der Para-EM saßen an einigen Vormittagen immerhin 4.000 Schüler auf der Haupttribüne des ansonsten leeren Stadions.

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