BARBARA BOLLWAHN über ROTKÄPPCHEN
: Ostfrauen sind besser im Bett

Nichts ist schöner als Behauptungen, deren Wahrheitsgehalt nur schwer zu beweisen ist

Es ist die Zeit der großen Versprechungen und der vollmundigen Behauptungen. Von allen Seiten werden wir damit bombardiert, dass es keinen Zweck hat, in Deckung zu gehen. Wir müssen uns ihnen stellen:

– Die einen versprechen Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit. Die anderen versprechen Entscheidungsspielräume.

– Die einen versprechen ein Steuerparadies auf Erden. Die anderen versprechen gerechte Steuern.

– Die einen behaupten, für eine schnellere Vermittlung in Arbeit zu sorgen. Die anderen behaupten, Arbeit habe Vorfahrt.

– Die einen behaupten, gegen den Rückschritt zu sein. Die anderen behaupten, für den Fortschritt zu sein.

Da kann man gar nicht anders, als von einer Schicksalswahl zu sprechen. Denn einig sind sich alle in einer weiteren Behauptung: Wir machen es besser als die anderen. Nach dem Motto „Friss Vogel oder stirb“ muss ich das glauben. Überprüfen kann ich es erst in ein paar Jahren. Aber die Politiker meinen, sie müssten ihre Behauptungen nur oft genug wiederholen, dann wird man sie schon für bare Münze nehmen. Verarschen kann ich mich alleine. Deshalb: Was die da oben können, kann ich schon lange.

Was könnte ich denn mal behaupten? Es muss natürlich um ein Thema gehen, das möglichst viele Menschen interessiert. Ein Aufregerthema wäre nicht schlecht. Ich muss selbstredend auch berücksichtigen, dass mich die Behauptung in einem möglichst guten Licht erscheinen lässt. Jetzt nur keinen Schnellschuss und die Nerven behalten.

Der Gerechtigkeit halber wäre sicher eine Behauptung gut, die dem Westen mal eins reinwürgt und dem Osten ein bisschen Selbstbewusstsein gibt. Au ja, das ist gut. Hm, denke, denke, ha, ich hab’s! Ostfrauen sind besser im Bett als Westfrauen. Soll mir doch einer das Gegenteil beweisen. Deswegen noch einmal: Ostfrauen sind besser im Bett als Westfrauen.

Natürlich ist die Behauptung platt. Na und? Dafür ist sie leicht verständlich. Außerdem kann ich nichts dafür, wenn nicht jeder die Wahrheit verträgt. Und jetzt tun Sie nicht so, als hätten Sie noch nie davon gehört, dass Ostfrauen besser im Bett sind als Westfrauen, als hätten Sie sich noch nie darüber auf einer Party unterhalten. Es gibt sogar Leute, die kriegen sich deswegen in die Haare. Das sind die, die anscheinend nicht wissen, was eine Behauptung ist: Eine Äußerung, in der etwas als Tatsache hingestellt wird. Eine Aussage über einen wahrheitsfähigen Sachverhalt, der nicht durch überprüfbare Elemente gestützt wird. Wahrheitsfähiger Sachverhalt, verstehen Sie?

Aber eigentlich ist das doch nur logisch. Uns war damals im Osten so langweilig, dass wir uns wegen der fehlenden Abwechslung halt mehr auf uns selbst besonnen haben. Das fing schon in der Schule an. Es war im Zeichenunterricht in der Dorfschule in Sachsen. Ich teilte mir die letzte Bank im Klassenzimmer mit Olaf, wir waren 12 oder 13. Ich weiß nicht mehr, was wir malen sollten, aber es war strunzlangweilig und die Farbauswahl eher bescheiden.

Zur Inspiration blickte ich rüber zu Olaf. Der malte einen langweiligen blauen Himmel. Ich rückte ganz nah an ihn heran und schrieb auf sein Blatt Papier: „Der Olaf malt ’nen blauen Himmel und hat ’nen riesengroßen Pimmel.“ Ich weiß es noch, als wäre es erst gestern gewesen.

Wie? Sie fragen sich noch immer, warum Ostfrauen besser im Bett sind als Westfrauen? Das ist eine gute Frage, die gleich zwei Antworten verdient hat.

Weil ich ohne wissenschaftliche Untersuchungen auskommen muss, lautet die erste Antwort auf die Frage „Warum sind Ostfrauen besser im Bett als Westfrauen?“: Darum.

Weil es auch noch keine statistischen Fakten gibt, muss die zweite Antwort auf die Frage „Warum sind Ostfrauen besser im Bett als Westfrauen?“ zwangsläufig lauten: Weil Frau Bollwahn das sagt.

Bis der Wahrheitsgehalt, bis die Allgemeingültigkeit bewiesen ist, werde ich das munter weiter behaupten.

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