Flüchtlinge in Ungarn: Kalter Entzug von Nahrungsmitteln

In ungarischen Transitzonen bekommen Geflüchtete kein Essen mehr, wenn sie sich gegen ihre Ablehnung wehren. Selbst Spenden werden unterbunden.

atrouillie in der Transitzone an der Ungarisch-serbischen Grenze in Tompa im April 2017

Patrouillie in der Transitzone an der ungarisch-serbischen Grenze in Tompa Foto: imago/Xinhua

BUDAPEST taz | Pfarrer Gábor Iványi kennt die Kraft der Symbole. Das ist sein Beruf. Also packte er Fisch und Brot ein, um beides am ungarischen Nationalfeiertag an hungernde Flüchtlinge zu verteilen. Wie auf einem Video vom Montag zu sehen ist, wird er am Stacheldraht der ungarischen Transitzone zurückgewiesen, obwohl er zuvor um eine Genehmigung der zuständigen Behörde gebeten hatte.

Iványi steht mit seinen Lebensmitteln da und kann das menschlichen Leid kaum 100 Meter von ihm entfernt nicht lindern. Die Ohnmacht steht dem methodistischen Seelsorger in Gesicht geschrieben.

Was derzeit hinter den Gittern geschieht, ist an Brutalität kaum noch zu überbieten. Ungarn hat seine ohnehin restriktive Flüchtlingsgesetzgebung verschärft und den Flüchtlingsstatus de facto abgeschafft. Wer aus einem als sicher eingestuften Land einreist, wird automatisch abgewiesen. Zu den sicheren Herkunftsstaaten zählt für Ungarns Regierung unter Viktor Orbán auch Serbien, wohin seit dem 1. Juli alle Antragsteller abgeschoben werden.

Einige der Antragsteller gingen zunächst juristisch gegen die automatische Abschiebung vor ungarischen Gerichten vor. Da kam den ungarischen Behörden die Idee, volljährigen Flüchtlingen deren Antrag abgelehnt worden war, die Nahrung zu verweigern. In den Transitzonen könnten sie sich kein Essen besorgen, also würden sie noch vor einer Entscheidung über ihre Berufung freiwillig gehen.

Familie aus Afghanistan

Unter den ersten Betroffenen des perfiden Planes war eine Familie aus Afghanistan. Die Kinder mussten getrennt von den Erwachsenen ihre Mahlzeiten einnehmen, damit sie das Essen nicht mit ihren Angehörigen teilen konnten.

Es brauchte den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der in zwei Fällen mit einstweiliger Verfügung feststellte, dass die Nahrung dem abgelehnten Antragsteller nicht verweigert werden dürfe. Happy End? Weit gefehlt. Die ungarischen Behörden versorgen zwar diejenigen, die mit Hilfe des Ungarischen Helsinki Komitees (HHK) erfolgreich geklagt haben, sie ließen aber wissen, dass jeder Flüchtling dieses Recht individuell erstreiten muss.

Sieben Personen werden jetzt versorgt, zur Zeit hungert aber eine junge Afghanin. Sie habe unvorstellbares Leid erleben müssen, schreibt das HHK auf Facebook am Mittwoch, und fügt hinzu: Der ungarische Staat versage ihr nicht nur den Schutz, sondern auch zwei Brötchen. Sie habe kein Gesetz gebrochen.

Vor einem halben Jahr hatte Orbán noch gesagt, wer anständig an der Tür Ungarns klopfe, werde hereingelassen. Als diese Tür fungierten die Transitzonen, aber damit ist jetzt Schluss.

Iványi sieht man im Video der Wochenzeitung „168 Óra“ sichtlich betroffen an der Grenze stehen. Er sagt, die Ungarn feierten in diesen Tagen die Staatsgründung vor 1000 Jahren. Damals habe der erste König das Land an Europa heran geführt. Jetzt werde diese Wertegemeinschaft ignoriert – genau so, wie die christlichen Vorschriften. Ihm fehlen die Worte.

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