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: Ballistische Betrachtung

Endlich gibt es die ganz eigene Tennis-Poetologie von David Foster Wallace auf Deutsch zu lesen

David Foster Wallace, Ulrich Blumenbach (Hrsg.): „Der Spaß an der Sache. Alle Essays“, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018, 1.088 Seiten, 36 Euro

Tennisprofi Andrea Petkovic ist ein bekennender David-Foster Wallace-Fan. „Der schreibt so geil über Tennis“, sagte sie einmal in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Sie erzählte aber auch, wie Ana Ivanovic, Ex-Tennisspielerin und Frau von Bastian Schweinsteiger, auf ihre Leseempfehlung reagierte: „Andrea, so ein Schwachsinn.“

Tatsächlich machte es David Foster Wallace, dessen Todestag sich am 12. September zum zehnten Mal jährt, seinen Leserinnen und Lesern nicht immer leicht. Im Roman „Unendlicher Spaß“ etwa, in dem eine der Hauptfiguren ein junger Tennisspieler ist, beschreibt Foster Wallace seitenweise und akribisch Tennisturniere und Ballwechsel. Für manche sicherlich ermüdend, für andere genial.

Die etwas schlankere Variante seiner Tennis-Literatur ist gerade in Form der fünf Tennis-Texte erschienen, die der 1962 geborene David Foster Wallace verfasst hat. Sie sind Teil, nämlich 138 Seiten, der über 1.000-seitigen Ausgabe „Der Spaß an der Sache“ (Kiepenheuer & Witsch), in der alle Essays von Foster Wallace zusammengestellt wurden – zum Teil erstmals in deutscher Übersetzung. Der Schriftsteller war selbst in seiner Jugend ein erfolgreicher Tennisspieler. Man merkt seinen Texten an, wie er Tennis lebt und verehrt, seine Beobachtungen und Beschreibungen zeugen von einer großen Kenntnis des Sports. „Tennis erfordert Körperbeherrschung, Feinmotorik, hochgetourtes Tempo, Ausdauer und diese seltsame Mischung aus Bedachtsamkeit und Ungehemmtheit, die wir Mut nennen. Und Tennis erfordert Köpfchen.“

Über Tennis zu schreiben, erfordert auch außerordentliche Fähigkeiten – zumal so über Tennis zu schreiben wie David Foster Wallace. Die fünf Tennis-Essays gleichen einem anspruchsvollen und fesselnden Fünf-Satz-Match. Herausragend ist sein Text über Roger Federer, den er 2006 im Wimbledon-Finale gegen Rafael Nadal beobachtet hat. In „Federer aus Fleisch und nicht“ beschwört er die Spielkunst des Schweizer Profis: „Federers Vorhand ist eine grandiose flüssige Peitsche und seine einhändige Rückhand kann er flach dreschen, mit Topspin versehen oder mit Slice schlagen – mit so viel Unterschnitt, dass der Ball in der Luft rotiert und beim Aufkommen nur knöchelhoch weiterrutscht.“

Für Foster Wallace ist Federer ein anbetungswürdiger Athlet, eine Lichtgestalt, fast nicht von dieser Welt und kaum physikalischen Gesetzen unterworfen. Das wiederum stellt Foster Wallace auf anbetungswürdige Weise dar. In allen fünf Tennis-Essays zeigt der Autor die ganze Bandbreite seiner Schreibkunst. In „Sport­ableitungen in der Tornado Alley“ blickt er zurück auf seine Jugend im windigen Illinois und schafft seine eigene Tennis-Poetologie mit geometrischen Details über Tennisplätze und ballistischen Betrachtungen von Flugbahnen der Bälle.

Er verdeutlicht überzeugend seine Enttäuschung über die „grottenschlecht geschriebene“ Biografie von Tracy Austin, dem „ersten echten Kinderstar im Damentennis“. Er entblößt das Drumherum bei den US Open als gnadenlose Geschäftemacherei. Und er zeigt am Beispiel des Spielers Michael Joyce, wie unerbittlich die Anforderungen an weniger bekannte Tennis-Profis sind.

Die fünf Tennis-Essays gleichen einem fesselnden Fünf-Satz-Match

David Foster Wallace ist fraglos die Nummer eins der Tennisautoren-Weltrangliste und rangiert damit noch vor John McPhee, Thomas Mann, Lars Gustafsson und Rita Mae Brown. Seine Texte sind Tennis. Die Schachtelsätze mit Abschweifungen gleichen langen, wild umkämpften Ballwechseln, seine präzisen Darstellungen entsprechen den kerzengeraden Linien eines Tennis-Courts, es folgt Pointe auf Pointe wie Ass auf Ass bei einem Wimbledonfinale der Männer. David Foster Wallace war der Roger Federer des literarischen Journalismus – auch wenn sein bombastischer Stil mit Exkursen und Fußnoten den einen oder anderen Leser ins Schwitzen bringen könnte. Der Übersetzer Ulrich Blumenbach spielt ebenfalls ganz großes Tennis. Ihm gelingt es eindrucksvoll, den Foster-Wallace-Sound ins Deutsche zu übertragen.

Der einzige Wermutstropfen ist – verglichen mit der Tragik des viel zu frühen Todes von Foster Wallace jedoch ein sehr kleiner –, dass die Texte aus einer fernen Tennis-Vergangenheit stammen, aus den Jahren 1991 bis 2006. Was hätte Foster Wallace wohl zu sagen über das exzessive Stöhnen im Frauentennis, über die gehockte Rückhand von Angelique Kerber oder einfach über Erdbeeren mit Sahne in Wimbledon? Wie wunderbar wäre es, könnte David Foster Wallace auch heute noch über Tennis schreiben. Jutta Heess