Unheimliche Bilderfressmaschine

Im Edith-Russ-Haus zeigt die Iranerin Shirin Sabahi Filme über die Beziehung zwischen Räumen, Bildern von ihnen und Oberflächen, auf denen sich Geschichten spiegeln

Goldgräberstimmung: Sabahis Film „Mouthful“ setzt sich mit der Restaurierung eines Ölbeckens im Teheraner Museum für zeitgenössische Kunst auseinander Foto: Shirin Sabahi

Von Radek Krolczyk

Die Münchner Fotografin Beatrice Minda hat vor wenigen Jahren einen Bildband veröffentlicht, sein Titel: „Iran Interrupted“. Darin findet sich eine Sammlung von Fotografien aus dem heutigen Iran. Sie zeigen private Räume, die nach der Ausrufung der islamischen Republik 1979 verwahrlost sind oder im Geheimen weiterexistieren. Zu sehen sind Aufnahmen von Salons, Festsälen und Gärten. Es sind Orte, die von einer säkularen Vergangenheit des Landes zeugen und seinen neuen Machthabern nicht in die ideologische Agenda gepasst haben.

Minda nimmt zwar nicht an der Ausstellung „Borrowed Scenery“ im Oldenburger Edith-Russ-Haus teil, diese bestreitet die iranische Künstlerin Shirin Sabahi allein, Mindas Buch allerdings berührt gleich mehrere Momente der Ausstellung und es lohnt, kurz darauf einzugehen. Das Buch beinhaltet unter anderem die Aufnahme einer höchst seltsamen Szenerie: Zu sehen ist ein Swimmingpool, der hinter einem Wohnhaus als Ruine in den Boden ragt.

Er ist leer, es befindet sich in ihm kein Wasser, er ist zugewachsen von allerlei Gestrüpp. Solche verlassenen Swimmingpools gibt es viele in den Städten des heutigen Iran. In Sichtweite der Nachbarn wird nicht mehr gebadet. Ähnlich motiviert sind zugebretterte Fenster. Es gibt ein Gesetz, das den Mindestabstand zwischen Außenmauern mit Fenstern regelt.

Der Pool, den Sabahi zum Thema gleich mehrerer künstlerischer Arbeiten gemacht hat, ist nicht zum Baden und doch hielt man ihn bisher unter Verschluss, denn auch er zeugt von einer Zeit vor der islamischen Republik. Es ist eine Zeit, die auf ganz andere Weise fürchterlich gewesen sein muss, die jedoch auch Versprechen der westlichen Moderne vor sich her führte.

Ein Teil davon war eine große Affinität zur Kunst verschiedener westlicher Nachkriegsavantgarden. Darunter eben auch ein mit Altöl gefülltes Schwimmbecken, eine Arbeit des japanischen Künstlers Noriyuki Haraguchi aus dem Jahre 1977 mit dem Titel „Matter and Mind“. Mit der aufwendigen Restaurierung dieser Arbeit, die sich permanent im Teheraner Museum für zeitgenössische Kunst befindet, hat sich Sabahi beschäftigt.

Die auf dem Grund liegenden Dinge verändern die Oberfläche des gefüllten Beckens

Bereits im vergangenen Jahr hat sie mit „Borrowed Scenery“ einen Film über den 1946 im japanischen Yokosuka geborenen Objektkünstler gemacht. Im Mittelpunkt stand dabei das in Ostasien gängige Prinzip, die landschaftliche Umgebung in die Gestaltung eines Gartens miteinzubeziehen. Das Ölbecken bezieht seine Umgebung mit ein, indem es sie spiegelt. Das ist in den Aufnahmen deutlich zu sehen: Die meist glatte, schwarze Oberfläche aus Öl hat eigentlich gar keine eigene Gestalt, sie ist unheimlich und parasitär, indem sie sich die Bilder ihrer Umgebung einverleibt.

Sabahis Film über die Restauration des Beckens, die sie in diesem Jahr produzierte, heißt denn auch „Mouthful“. Das Ölbecken als riesige Bilderfressmaschine? Der Eindruck ist stark, andererseits frisst das riesige Maul die Bilder nicht auf, sondern wirft sie auf ihre ursprünglichen Eigentümer zurück. Sabahi hat dieses Prinzip im Ausstellungsraum fortgesetzt, indem sie gemeinsam mit dem Architekten Jan Parth einige der ungenutzten Wände verspiegelte.

Durch die Arbeit an „Borrowed Scenery“ hatte sich Shirin Sabahi mit ihrem älteren Kollegen Noriyuki Haraguchi bereits angefreundet. Für Sabahi, die 1984 in Teheran geboren wurde und heute in Berlin lebt, sind Bilder das eigentliche zentrale Moment ihrer meist filmischen Arbeiten. Auf diese Weise erklärt sich ihre Faszination für Haraguchis bildmächtige Installation „Matter and Mind“.

In ihrem Film, den sie mit Unterstützung eines Stipendiums des Edith-Russ-Hauses realisieren konnte, steht meist die schwarze spiegelnde Oberfläche des mit Öl gefüllten Stahlbeckens im Bildzentrum. Am Beckenrand bewegen sich die handelnden Personen, der Restaurator, sein Assistent und schließlich Haraguchi selbst. Man wohnt neben den restauratorischen Arbeiten auch einem Gespräch über die Geschichte einer Kunstinstitution bei, die gemeinsam mit ihrem Land in den letzten Jahrzehnten harte Umbrüche erfahren hat. Über der Szenerie baumelt ein außergewöhnliches Mobile von Alexander Calder, einer jener Klassiker, die heute in den meisten westlichen Museen zu sehen sind.

Die Umgebung in die Gestaltung einbezogen: Bereits im vergangenen Jahr hat sich Sabahi mit dem Öl-Pool des japanischen Objektkünstlers Noriyuki Haraguchi beschäftigt Foto: Shirin Sabahi

Was gibt es an einem Becken, das mit Altöl gefüllt ist eigentlich zu restaurieren? Die Frage scheint berechtigt. Denn wie sollte an einer schmutzigen Flüssigkeit in einem robusten Becken überhaupt etwas beschädigt worden sein? Besucher des Museums haben das Ölbecken immer wieder mit einem Springbrunnen verwechselt, in das man Münzen oder ähnliche Gegenstände werfen soll, um sich etwas zu wünschen. Diese auf dem Grund liegenden Dinge verändern die Oberfläche des bis zum Rand gefüllten Beckens. Jeder Wunsch ist hier ein vandalistischer Akt.

Die Restaurierung besteht nun vor allem aus dem Herausfischen der ins Becken geworfenen Gegenstände und dem Nachfüllen von Öl. Man wird hier auf einen Widerspruch aufmerksam, der dem Material Öl innewohnt: Zum einen ist sein Aufkommen Zeichen von Fortschritt und Wohlstand, zum anderen aber auch von Verschmutzung. Motoröl ist zunächst durchsichtig und bernsteinfarben. Durch den Gebrauch wird es durch Ruß und andere Stoffe schwarz, die Oberfläche jedoch spiegelt weiterhin klar.

Gleichzeitig konserviert Öl und so sind die Dinge, die die Restauratoren herausholen, gut erhalten, selbst die organischen. In Sabahis Film kommen einem die Restauratoren mit ihren Werkzeugen, mit denen sie im Öl herumfischen, den Sieben und Behältern am Rande, wie Goldgräber vor. Die Fundstücke hat Sabahi in der Ausstellung unter Glashauben sortiert ausgestellt. Es sind Münzen, Schlüssel, aber auch Bonbons und aus Papier gefaltete Flugzeuge und Schiffe. Man fühlt sich ein wenig an Pompei erinnert, wo man in Lava eine ganze Welt konserviert wiederfindet.

Bis 30. 9., Edith-Russ-Haus, OldenburgDer Autor ist Betreiber der Galerie K’in Bremen