Was Benetton in Südamerika treibt

Wo Goethes Faust die Mapuche in Patagonien trifft: Bei den im Rahmen des Project Space Festivals bei UQBAR und NON Berlin verbrachten Abenden kamen sich ziemlich fremde Welten ziemlich nahe

UQBAR, Lesung von Julia Mensch und Naomi Hennig Foto: F.: Piotr Pietrus

Von Lorina Speder

Durch die Sommerpause im Kulturbetrieb steht man bei den meisten Berliner Galerien im August vor geschlossen Türen. Da lohnt es sich umso mehr, einen Blick auf die vielen Projekt­räume der Hauptstadt zu werfen. Denn den ganzen August über läuft das Project Space Festival, das nun ganz explizit dazu einlädt, sich mit den unabhängigen Kreativschmieden ­Berlins auseinanderzusetzen. In der vierten Runde des jährlich konzipierten Festivals gestalten 27 Projekträume das Programm für je einen Tag des Monats. So wird es für Kulturliebhaber auch zur Ferienzeit nicht langweilig, denn die einzelnen Projekte in den Räumen sind wie die Ausrichtungen der Spaces selbst vielseitig gestrickt.

In der Weddinger UQBAR konnte sich das Publikum am ersten Sonntagabend des Augusts auf eine interessante Lesung der Künstlerinnen Julia Mensch und Naomi Hennig einlassen. Obwohl sie sich schon vor neun Jahren während des Studiums an der Universität der Künste kennenlernten, war die Zusammenarbeit für beide ein Novum. Die Idee, gemeinsam Ergebnisse aus ihrer persönlichen Feldforschung über die indigenen Mapuche in Südamerika mit Literatur und dem tagesaktuellen Geschehen zu verbinden, stand jedoch schon länger im Raum. In zwei Wochen intensiver Arbeit erarbeiteten die Künstlerinnen ihre Lecture Performance. Darin trugen sie die literarische Landschaft des zweiten Teils von Goethes „Faust“, die sie als Welt der Transformation markierten, mit der Geschichte der Mapuche in Patagonien zusammen.

Dass man nicht nur eine einfache Lesung dargeboten bekommt, stand schon in den einführenden Worten von Hennig fest. Es sollte auf Englisch, Spanisch und ein wenig Deutsch mit begleitenden Textpassagen auf dem Lichtbild des Beamers gelesen werden. Bei Kindergeschrei vor dem Ladenlokal in der Schwedenstraße und dem Lärm der vorbeirauschenden Autos wechselten die Akteurinnen in einer knappen Stunde Vortrag zwischen den Sprachen und lasen aus Briefen, Goethes „Faust“ und persönlichen Notizen.

Der Name „NON“, aus dem Chinesischen übersetzt, schlägt „diskutieren“ vor

Mensch, 1980 in Buenos Aires geboren, sprach im Vortrag in ihrer Muttersprache. Die Geschichte des verstorbenen Menschenrechtsaktivisten Santiago Maldonado zitiert sie am Abend aus mitgebrachten Zeitungen. Als sie im September letzten Jahres in Argentinien war, bekam sie den Skandal über sein bis dahin unaufgeklärtes Verschwinden nach einer Demonstration gegen den Textilkonzern Benetton mit.

Wie kein anderer wurde er zum Sinnbild des Konflikts um die Rückgabe des indigenen Landes, das sich seit 1994 im Besitz Luciano Benettons befindet. So wurde dem Publikum in intimer Atmosphäre des wohnzimmergroßen Hauptraums von UQBAR eine Problematik nähergebracht, deren Verbindung zu Europa im ersten Moment nicht offensichtlich war.

Auch ein weiterer Abend des Project Space Festivals baute einen Zusammenhang zwischen zwei Kontinenten auf. Die Asia Contemporary Art Platform NON Berlin eröffnete am 10. August in neuen Räumen die Ausstellung „Facing North Korea“. Wie es der Name „NON“, aus dem Chinesischen übersetzt „diskutieren“ vorschlägt, wurde die Eröffnung mit einem offenen Diskurs von Kyung Jin Zoh, Professor für Environment Studies der Seoul National University, und Angelika Beck vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland begleitet. Dass beide Heimatländer der Vortragenden eine Teilung erleben mussten ist eine komplexe Thematik.

In dem Vortrag von Beck sollte es jedoch um einen positiven Aspekt gehen: Die Grenzzonen beider Länder entwickelten sich nämlich zu einzigartigen, weil quasi unberührte Naturgebieten. Im sogenannten grünen Gürtel durch Deutschland siedelten sich während der Mauerzeit über 1.200 seltene Arten an, die man bis heute nur dort findet.

Asia Contemporary Art Platform NON Berlin, Facing North Korea – the observatory project Foto: Joanna Kosowska

Kyung Jin Zoh knüpfte daran an und berichtete von der Landschaft, die er auf seiner Reise entlang dem knapp 4 Kilometer breiten Grenzgebiet in Korea sah. Von einem Punkt könne man sogar die nordkoreanische Flagge erkennen, erzählte der Professor. Die Fahnen von Nord- und Südkorea entdeckte man auch beim NON Berlin in zwei Fenstern des Backsteingebäudes – doch hingen sie sich hier nicht rivalisierend gegenüber, sondern brüderlich nebeneinander. Gemeinsam mit seinem Forscherteam erstellte der Professor eine Videoarbeit über die 15 existierenden Besucherzentren in der demilitarisierten Zone. In der Ausstellung im Innenraum des NON Berlin fiel die Installation sofort auf. Dort wurden die Observatorien anhand verschiedener Kategorien wie der umliegenden Landschaft, Namensbedeutung und die Anreise erklärt. Ido Shin, Kurator der Ausstellung und Direktor des Projektraums, kombinierte die dokumentarische Projektion mit Werken von vier internationalen Künstlern. Wirkungsvoll war besonders die Gegenüberstellung minimalistischer Arbeiten von Taiyoh Mori aus Japan. Seine Bleistiftlinien in einer unbetitelten Konstruktion aus Papier, Glas, Holz und künstlichem Licht glichen Grenzen. Sie interagierten mit Linien, die erst nach genauem Hinsehen als Schattenwürfe identifizierbar wurden – eine schöne Pointe und Hinweis darauf, dass Grenzen nie stetig sind.

Das Eintauchen in andere Kulturen während des Berliner Sommers war allein durch die beiden Abende eine schöne Abwechslung vom Alltag – im NON Berlin fühlte man sich teilweise wie in Korea, umgeben von den Bildern aus dem Grenzgebiet, der koreanischen Sprache und den vornehmen Gesten der Besucher. Da wurde man sofort neugierig, in was für andere Welten einen die ausstehenden Abende der Projekträume des Festivals diesen Monat noch transportieren können.