Hamburger Szene von Petra Schellen

Mobbing wegen guter Gesundheit

Manchmal frage ich mich, ob ich das richtig sehe: dass Gesundsein wünschenswert ist und Kranksein weniger. Denn letztlich ist es natürlich ein Privileg, gesund zu sein, also könnte es zumindest politisch wie moralisch fragwürdig sein, das auch bleiben zu wollen.

Das kann man sogar des Mittags im Imbiss an der Holstenstraße erleben. Da saß ich neulich, als eine mitteljunge Frau hereintrat und sich stracks neben mich setzte, obwohl anderswo genug Platz gewesen wäre. Aber irgendwie muss ich wie ein prima Ansteckungsopfer ausgesehen haben. Jedenfalls bestellte sie mit belegter Stimme, zog unentwegt die Nase hoch, und als sie sich endlich geräuschvoll schnäuzte, tat sie es lange.

Fieber hatte sie wohl außerdem, jedenfalls behielt sie ihre (nein, nicht hochmodische!) Wollmütze konsequent auf. Ich rückte ab, etwas von „Will mich nicht anstecken“ murmelnd. Die Frau, ihres Opfers beraubt, wurde bös: „Ich bin nicht krank“, keifte sie mit überraschender, weil das Offensichtliche so krass leugnender Dreistigkeit und schnäuzte sich erneut. „Nur weil ich mir mal die Nase putze“, krächzte sie. „Und überhaupt! Gehen Sie doch woanders hin! Sie werden mich nicht abhalten, hier essen zu gehen, wo ich immer esse!“

Von Abhalten hatte ich gar nichts gesagt – wie hätte ich das auch machen sollen? Dass sie „immer“ dort speist, kann ich allerdings nicht bestätigen. Ich bin seit Monaten fast täglich dort und habe sie noch nie gesehen. Aber um Logik ging es nicht. „Ich rede jetzt nicht mehr mit Ihnen“, brüllte die Frau unvermittelt durch den kleinen Raum. „Ende der Diskussion!“

Und wie es manchmal eben so geht, meinte jetzt auch das unbeteiligte Pärchen dahinten, sich einmischen und bestätigen zu müssen, dass das Schnäuzen doch sicher vom warmen Essen komme. Kunststück, die saßen ja auch nicht neben ihr. Derart ermutigt, schnauzte die Frau alsdann: „Außerdem bin ich Krankenschwester!“

Was sie uns damit mitteilen wollte, ist mir bis heute ein Rätsel. Werden Krankenschwestern per se nicht krank, kann also nicht sein, was nicht sein darf? Oder sind Krankenschwestern nicht in der Lage, einen simplen grippalen Infekt zu erkennen? Und wenn sie das schon am eigenen Leib nicht können: Wie werden sie dann mit den Erkrankungen ihrer Patienten umgehen? Ist da auch „Ende der Debatte“, wenn jemand um etwas bittet oder sich vor einer Untersuchung fürchtet?

In welchem Krankenhaus sie arbeitet, habe ich leider nicht gefragt. Ich hätte es sofort auf die schwarze Liste gesetzt.