Von Ben de Biels Partyfotos zu Karacho Rabaukins bombastischen Klangjonglagen
: Bauernhochzeit mit Holundersirup

VON SARAH ZIMMERMANN

Gut, dass M. der Ältere am Samstag um 23.50 Uhr auf die Idee kam, Kuchen zu backen. M. die Jüngere und ich nämlich waren, nach zwei Tagen 360°-Touristen-Programm, nach Stadt, Staatsoper und der atemraubenden manuellen Füllung einer 2 x 1,50 Meter Luftmatratze, völlig erschöpft eingeschlafen. Ohne die mitternächtlichen Küchendüfte und die durch die WG-Tür gerufene Speise-Einladung hätten wir die Nacht glatt verpasst. Meine Wochenendgästin wäre untröstlich gewesen.

Am Küchentisch sitzen mit vollen Backen auch M. der Couchsurfer und seine Freundin aus Israel. Sie haben Jazz mitgebracht, den sie in der Küche spielen, die Vormittage seit ihrer Ankunft aber in Adiletten und Daunenjacke vor unserer Haustür verbracht, je einen Kaffee und eine Zigarette in der Hand. In fünf Stunden geht ihr Flug. M., die aus Bayern kommt, wird länger bleiben. Sie lächelt höflich, als S. vom Berliner Oktoberfest erzählt. Und als sie ihre erste Berliner Brezel probiert. Sie ist das erste Mal hier.

Vier Meter über dem Asphalt gleiten wir eine halbe Stunde später hinter der Frontscheibe des Doppeldeckers durch die Stadt und kramen uns die letzten Krümel des Schoko-Bananen-Jazz-Kuchens aus dem Mund. Die Halbstarken hinter uns erzählen Mudder-Witze, und M., die ein paar Brüder und schwarzen Humor besitzt, gibt begeistert Nachhilfe. Erster Halt: Kreuzberg und Ritter Butzke, an dessen Decke Trompeten und Regenschirme baumeln. Wir sind spät, und die Kassenschlange lang. Ben de Biel, der bis 2011 das Maria am Ostbahnhof betrieb, stellt im Westflügel des Clubs Dokumentarfotos aus. Bald stehen wir vor seinen groß aufgezogenen Nachtschwärmer-Bildern in Schwarz-Weiß und Farbe, und es ist, als würde man in den Spiegel gucken. Feiervolk trifft Feiervolk, Glitzer, Ekstase und Farbenrausch. Ben de Biel präsentiert die Ästhetik von Tanz und Musik. Im Ritter dürften sich seine Bilder zu Hause fühlen. Vom Hof pulst uns hartnäckig der Beat der laufenden Party ins Ohr, und wir testen endlich an. Jackenabgabe. Rundgang. Rundtanz. Jacken an.

Am U-Bahnhof Moritzplatz zuckelt ein Mann in Orange mit der laut brummenden Reinigungsmaschine über das Gleis. Der Boden glänzt feucht, und unsere Schuhe sind regennass. M. wippt mit den Beinen, und wir reden uns warm. Mit Politik und Kindheitsanekdoten. Auf dem Weg zur Supamolly in Friedrichshain hält die Jüngere den Blick fest nach oben gerichtet. Um die an der Laterne baumelnden Turnschuhe zu sehen und die Fahnen, die aus den Fenstern des besetzten Hauses wehen. Und weil bei Rauch ihre Kontaktlinsen spinnen. Wir trinken im Szimpla Bauernhochzeit mit Holundersirup.

„Wenn ich ein Mann wäre, würde ich sie heiraten“, schreit M. mir, inspiriert von ungarischen Cocktails und DJane Karacho Rabaukins bombastischen Klangjonglagen, zwei Stunden später ins Ohr. Wir sind im Lovelite gelandet, und ich bin einverstanden. Auf der Danza Globalistan Worldmusic Party hat die Frau hinterm Mischpult noch kein einziges Stück aufgelegt, das nicht geglänzt hat. Die Gekommenen verbiegen sich wild zu Ska, Latin, Punkrock und Mestizo, nur der mit den Hosenträgern bewegt sich elegant wie ein Mary-Poppins-Darsteller. „Ich komme aus München“, erklärt M. dem Fremden, der sagt, sie sähe beim Tanzen wie ein Marienkäfer aus. „Und ich bin vergeben.“ Ein paar Stunden später steckt sie sich auf dem Mauerpark-Flohmarkt einen kleinen Ring an den Finger. Fünf Euro. Sonne, wenig Schlaf und ein brezelfreies Frühstück. Von letzter Nacht blieb nur Kleingeld übrig, aber die rotbäckige Verkäuferin strahlt ob der vielen Centstücke in ihrer Hand. Ihr Vater sei Sammler, sagt sie. Den letzten Rest schmeißen wir, zwischen Schaukelstühlen, Ramsch und Liebhaberstücken stehend, in die freistehende 70er-Jahre-Juke-Box. „Jetzt“, sagt M., „hätt ich Lust auf ’nen Döner.“