Die guten Menschen
aus Oberbayern

Wie ist es, sich in der Flüchtlingshilfe zu engagieren, ausgerechnet in Bayern? Mit der Hetze der CSU können die Isener nichts anfangen. Sie gründen lieber einen Dachverband

Bettina Riep (links) und Stefanie Prauser von der Flüchtlingshilfe Foto: Patrick Guyton

Aus Markt Isen Patrick Guyten

In Bayern gibt es Menschen, die sich freuen, wenn Flüchtlinge am Münchner Flughafen ankommen. Und nicht, wenn 69 von ihnen – so viele wie noch nie in einem Flieger – abgeschoben werden. Es war im April, als Bettina Riep mit Hakim S. (Name geändert) an der Ankunftszone des Flughafens stand und wartete. „Sehnsüchtig“, sagt Riep heute. Sie beschreibt Momente wie diesen am Flughafen als mit die schönsten in ihrer Zeit als ehrenamtliche Flüchtlingshelferin.

Der heute 47 Jahre alte Hakim, einst Englischlehrer, war schon drei Jahre zuvor aus der Kriegshölle im syrischen Aleppo nach Deutschland entkommen. Jetzt hatten sie es bewerkstelligt, dass seine Ehefrau und die drei Kinder folgen konnten. Endlich war die Familie wieder vereint.

„Wissen Sie, wie wahnsinnig teuer Familiennachzug ist?“, fragt die fünfzig Jahre alte Riep. „Man muss Übersetzungen von Dokumenten anfertigen lassen, die dann in der Botschaft in Damaskus beglaubigt werden“, erzählt sie. Das koste Unsummen.

Riep ist ehrenamtliche Flüchtlingshelferin in Oberbayern, in Markt Isen. Und sie ist seit Kurzem Vorsitzende des landesweiten Zusammenschlusses der Flüchtlingshelfer, der sich „Unser Veto“ nennen. Mindestens 3.000 Freiwillige gibt es im Freistaat. In Bayern gibt es den ersten Landesverband, im Bund und in anderen Ländern steht die Organisation bisher lediglich auf dem Papier. Als eine Art Gewerkschaft der Flüchtlingshelfer beschreiben sie sich. „Wir haben uns viel Wissen angeeignet“, sagt Bettina Riep, „aber als Ehrenamtliche werden wir nicht für voll genommen.“ Gemeinsam wollen sie eine Lobby bilden: „Wir machen Flüchtlingshelfer stark gegenüber Politik und Behörden“, heißt es in ihrem Manifest.

In Markt Isen setzt sich die „Unser-Veto“-Vorsitzende ein. 5.800 Einwohner hat der Ort, 50 Kilometer östlich von München gelegen. Die Gemeinde im Landkreis Erding ist zerklüftet auf 78 winzige Gemeindeteile vom Kirchdorf Burgrain bis Zellershub. Seit 2013 kümmert sich die „Flüchtlingshilfe Isen“ um die Asylbewerber vor Ort. Vierzig sind es momentan, ein Teil von ihnen ist anerkannt, ein Teil ist im Asylverfahren. Sie sind dezentral in Wohnungen untergebracht, ein Asylbewerberheim, das die Bewohner stigmatisiert, gibt es nicht.

Und dies ist die politische Großwetterlage in Deutschland: Die CSU hetzt über den „Asyltourismus“, riskiert den Berliner Koalitionsbruch mit ihrem Plan, Flüchtlinge schon an der Grenze abzuweisen. Die bayerische Regierungspartei spricht davon, wieder „Ordnung“ und „Rechtmäßigkeit“ bei der Einwanderung herzustellen. Mit Blick auf die AfD wird eine Stimmung geweckt, als kollabiere Deutschland in einem „Flüchtlingsstrom“.

In Markt Isen mit seiner katholischen Pfarrkirche St. Zeno neben dem Marktplatz können die Flüchtlingshelfer nur den Kopf über das CSU-Getöse schütteln. Stefanie Prauser, ebenfalls Flüchtingshelferin, ebenfalls 50 Jahre alt, sagt: „Das sind nette Menschen, mit denen ich gerne meine Zeit verbringe. Das macht viel Spaß.“

Die Flüchtlingshelferinnen Riep und Prauser sind jeglicher revolutionären Umtriebe unverdächtig. Beide sind „Bürgertum“, verheiratet, haben Kinder. Prauser arbeitet an der TU München, Riep erzählt, dass sie Bilanzbuchhalterin ist – und lacht dabei. Diese gesellschaftliche Mitte jedenfalls sprechen Markus Söder und die CSU mit ihren Rambo-Tönen nicht an.

Die Gemeinde hat der Flüchtlingshilfe eine Dreizimmerwohnung zentral an der Münchner Straße angemietet. Dort machen sie Deutsch-Unterricht, Nachhilfe, Mutter-Kind-Gruppe, Jugendtreff, Flüchtlingsberatung. Ein junger Flüchtling aus Somalia kommt mit einem Zettel vom Jobcenter. Gesucht werden Metallhelfer und Schweißer mit Zusatzqualifikation in Moosburg, 40 Kilometer entfernt. Seine Frage: „Wie komme ich hin?“ Danach braucht ein Mann aus Afghanistan Hilfe. Die AOK prüft die Familienversicherung: Ist der 18 Jahre alte Sohn auch versichert? Ja, er bekommt auch Kindergeld, weiß Bettina Riep. Dafür braucht man die steuerliche Identifikationsnummer. Das Kindergeld wird aber vom Jobcenter wieder abgezogen.

„Wir sind hier Verwaltungsauskunft und Sozialberatung“, erzählt die Frau. Währenddessen spielen in dem großen Raum ein zehnjähriger syrischer Junge und ein 20-jähriger Afghane am Tischkicker. Im PC läuft Youtube, der Raum wird beschallt mit „Latest Nigerian Music 2018“.

„Ohne uns hätte die Gemeinde ein Problem“,

ist Bettina Riep

überzeugt

„Ohne uns hätte die Gemeinde ein Problem“, ist sich Bettina Riep sicher. Denn wer würde sich sonst um die Organisation von Fahrrädern kümmern, um fehlende Geburtsurkunden aus den Heimatländern, um Bewerbungsschreiben für Praktikumsstellen in den Bereichen Elektro und Sanitär? Um die Flüchtlinge, die in dem Einödweiler Höselsthal untergebracht sind, von wo aus man 45 Minuten zum nächsten Ort laufen muss?

Siegfried Fischer ist der Bürgermeister von Isen, er gehört den Freien Wählern (FW) an. Diesen steht der allmächtige Hubert Aiwanger vor, und Aiwanger vertritt beim Flüchtlingsthema einen noch härteren Kurs als die CSU. Doch Fischer ist äußerst angetan von der Flüchtlingshilfe am Ort: „Die machen das selbstständig, und das ist notwendig und wichtig“, sagt er in schönem Bayerisch. „Ich bin froh, dass wir sie haben.“ Und die Flüchtlinge im Ort „fallen gar nicht auf, werden nicht angefeindet“. Er begrüßt die Arbeit, „weil ich mich nicht darum kümmern muss“. Das solle jetzt nicht negativ klingen, betont er.

Die Helferinnen erzählen von jungen Afghanen aus Isen, die zwei Jahre lang in Deutschkursen büffeln und dann keine Ausbildung machen dürfen. Da helfe nur Zuhören und gutes Zureden. Und auch mal ein Ausflug an den Chiemsee, um auf andere Gedanken zu kommen. Die Probleme, die Arbeit, die mit dem „Unser Veto“-Zusammenschluss angegangen werden sollen, liegen für sie auf der Hand: Was lässt sich daran ändern, dass etwa der Landkreis Erding kaum Arbeitsgenehmigungen an Flüchtlinge erteilt, die Stadt München das aber großzügig handhabt? „Die Unterkünfte sind mittlerweile halb leer“, berichtet Bettina Riep, „aber der Platz für die Menschen wird weiter begrenzt.“ Die Schlussfolgerung liegt für sie auf der Hand: „Die sollen sich dort nicht wohlfühlen.“

Auch die bitteren Teile der Lebensgeschichten bekommen sie mit, etwa wenn Bescheide endgültig abgelehnt werden. Zwei sogenannte freiwillige Ausreisen in die Heimatländer haben sie in Isen miterlebt. Und es gab mehrere Flüchtlinge, die plötzlich weg waren, die abgetaucht sind. „Dazu raten wir niemandem“, sagt Bettina Riep. „Aber wir halten auch niemanden davon ab.“