„Die machen Propaganda“

Sevil Yusifova ist Journalistin in Aserbaidschan, wo es so gut wie keine unabhängige Presse gibt. Im September geht dort auf Druck des Europarats der erste öffentlich-rechtliche Sender an den Start

INTERVIEW CEM SEY

taz: Im September soll in Aserbaidschan der erste öffentlich-rechtliche Sender starten. Ist das ein Schritt in Richtung mehr Demokratie?

Sevil Yusifova: Die Gründung dieses Senders ist für Aserbaidschan sehr positiv. Noch ist aber nicht bekannt, wie er arbeiten wird. Der Europarat, auf dessen Druck hin der Sender aufgebaut wird, kritisierte bereits die völlig intransparente Intendantenwahl. Ziel des Senders soll aber sein, allen politischen Kräften im Land, auch der Opposition, eine Chance auf freie Meinungsäußerung zu bieten.

Welche Möglichkeiten hat denn der Europarat, Druck auf Aserbaidschan zu üben?

Aserbaidschan ist seit 2001 Mitglied des Europarats, und dieser assistiert in Sachen Medien. Dabei spielt die Gründung eines öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders von Anfang an eine große Rolle. Die Experten des Europarats haben in ihrem letzten Bericht gerade in diesem Bereich „Grund zur großen Sorge“ gehabt. Solche Feststellungen setzen die Regierung in Baku unter Zugzwang.

Im Ölstaat Aserbaidschan leben 85 Prozent der Bevölkerung in Armut. Wie wird dieser Sender finanziert?

Das ist noch nicht bekannt. Angedacht ist, dass die Bevölkerung eine Gebühr entrichten soll. Wir wissen nur, dass die Regierung über 2 Millionen US-Dollar zur Finanzierung bereitstellt.

Drei der vier privaten TV-Sender im Land gehören dem weitläufigen Clan von Präsident Ilham Aliyev. Gibt es überhaupt unabhängige Informationsquellen im Land?

Leider, nein. Nur wer internationale Sender empfängt, hat die Chance auf unabhängige Nachrichten. Die große Mehrheit hat nur wenig Möglichkeiten, sich objektiv zu informieren.

Sie haben vor drei Jahren in Aserbaidschan Reporter ohne Grenzen gegründet. Wie beurteilen Sie die Lage der Medien dort?

Die Fernsehsender sind finanziell von der Regierung abhängig. Regierungskritische Meinungen werden nicht verbreitet, Personen, die sie äußern, werden ausgegrenzt. Die Sender informieren nicht, sie machen Propaganda. Berichte des aserbaidschanischen Journalistenverbandes bestätigen, dass es im Land keine unabhängigen Sender gibt.

Sie fordern daher die freie Lizenzvergabe für private Fernsehsender. Wie realistisch ist das?

Es gibt ein zuständiges staatliches Komitee – aber es hat per Gesetz keine Macht, Lizenzen zu vergeben. Mit diesem Umstand entschuldigt die Regierung die fehlenden Lizenzen. Deshalb haben oppositionsnahe Journalisten vor kurzem einen Sender in Tschechien gegründet. Produziert wird in Aserbaidschan, gesendet wird aus Tschechien.

Ihre Organisation dokumentiert Repressalien gegen Journalisten. Wie ist denn da die Lage?

Betroffen sind nicht nur die kritischen Journalisten. Selbst die Mitarbeiter staatlicher Zeitungen erhalten oft nicht die gewünschten Informationen oder Zutritt zu Behörden oder werden misshandelt.

Dennoch gibt es einige regierungskritische Zeitungen.

Den Kiosken wurde verboten, oppositionelle Zeitungen zu verkaufen, sie dürfen von den Fluglinien nicht verteilt werden. Damit will man die kritische Presse finanziell ausbluten. Anzeigen bekommen diese Blätter auch nicht, denn wenn ein Unternehmer in einem solchen Blatt inseriert, versucht die Regierung, ihn in die Insolvenz zu treiben. Er bekommt dann plötzlich Ärger mit dem Finanzamt.

Präsident Ilham Aliyev beteuert stets, dass sein Land demokratisch regiert wird. Wie passt das alles zusammen?

Aliyev hat sicherlich einige Schritte unternommen, dies zu erreichen. Doch seine Kader gehören zur alten Nomenklatur. Sie arbeiten gegen ihn. Kürzlich bedrohte ein Parlamentsabgeordneter öffentlich den Chefredakteur einer Zeitung. Aliyev empfing den Journalisten dann demonstrativ, doch am Tag darauf wiederholte der Abgeordnete seine Drohungen. Es gibt unter den Machthabern verschiedene Gruppierungen. Mit Ilham Aliyev gelangten jüngere Kader an die Macht, nun gibt es einen Generationenkampf, der nicht lange gut gehen kann.

Die Regierung in Baku befürchtet eine orange Revolution wie in der Ukraine. Zu Recht?

Jedenfalls versucht die Regierung, den Menschen davor Angst einzujagen. Die Aserbaidschaner gingen 2003 schon einmal auf die Straße, als Wahlmanipulationen bekannt wurden. Die Demonstranten wurden damals beschossen und massenweise verhaftet, darunter auch über 70 Journalisten. Der Westen hat das Vorgehen der Regierung zwar verurteilt, die offiziellen Wahlergebnisse dann aber doch anerkannt. Deshalb glauben viele, dass der Westen in Aserbaidschan die Demokratie dem Öl geopfert hat.