Das Sommerkomplott

Sie werden es zwar nicht glauben, aber wir sind uns sicher: Der Sommer war da. Leere Bierflaschen und zerknülltes Schokoladensilberpapier beweisen es. Da steckt doch eine Verschwörung dahinter

VON CLAUDIA LEHNEN

Irgendwo müssen die sonnenverwöhnten Fresssäcke doch stecken. Im Nachhinein will es natürlich keiner gewesen sein. Klug ist ihre Verschwiegenheit, schließlich wäre der Zorn der Neider fürchterlich. Ein nicht unbeträchtlicher Teil dieser Republik scheint sich den Sommer geschnappt und ganz allein genossen zu haben. Hinterhältig ist das. Im tiefsten Sinne unsozial. Völlerei, wenn man eine der Todsünden bemühen möchte.

Doch von Anfang an: Das Ausmaß des Skandals zeigt sich, wenn man bedenkt, dass in diesem Jahr der Sommer quasi nicht anwesend war. Und wenn er doch für ein paar Tage anreiste, dann saß er beleidigt, mit unterkühltem Blick auf seinem Koffer, und niemand wagte, ihn deshalb zu kritisieren. Aus Angst, der sensible Gast würde beim kleinsten Anlass mit umwölkter Stirn wieder abdampfen.

Dass sich das Volk noch nicht von den mit Wolldecken bepackten Liegestühlen erhoben und sich zur Demonstration gegen die Arbeitsverweigerung des Sommers zusammengerottet hat, kann bislang nur daran gelegen haben, dass gemeinsames Leid ja unheimlich trostspendend ist. Der Osten kann nicht mäkeln, der Westen nicht. Der Süden sollte erst gar nicht frustriert sein, kriegt er ja sonst oft die doppelte Portion Sonnenschein. Nicht einmal der Norden, der sich gewöhnt hat an die beleidigte Wetterleier, die im jährlichen September-Lamento gipfelt, hat Grund, neidisch zu sein. Schließlich hat uns der Sommer alle betrogen. Gemeinschaftliche Verschmähung schweißt zusammen, macht gelassen, das wissen schon abgewiesene Teenager.

Doch: Der Mythos der kollektiv ertragenen Zurückweisung bröckelt. Irgendwo in Deutschland muss sich der Sommer häuslich niedergelassen haben. Heiß muss es gewesen sein. Und trocken. So trocken, dass die Menschen hektoliterweise sommerliche Biersorten weggekippt haben. Dietmar Henle, Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Brauerei Bitburger, sagt zumindest, die Firma sei „zufrieden“ mit dem Absatz des seit Mai dieses Jahres käuflichen milden Pils „Bit Sun“. Zum „erfrischend sommerlichen Erlebnis“ lade der Neueinsteiger im Bitburger-Sortiment ein, kann man auf der Internetseite der Brauerei nachlesen. Wer hatte da sommerliche Erlebnisse, während der Rest der Republik aus Frust über die lausige Schafskälte Bockbier weggezogen hat?

Nachforschungen beim württembergischen Schokoladenhersteller Ritter Sport erhärten den Verdacht, dass irgend so ein Nest in Deutschland den Sommer gekidnappt und für seine niederen Instinkte missbraucht hat. Die Geschmacksrichtungen Erdbeer-Joghurt, Blutorange-Joghurt und Heidelbeer-Joghurt sind nach Angaben des Pressesprechers Thomas Seeger in den vergangenen trüben Monaten ebenso häufig verfuttert worden wie im Jahrhundertsommer 2003. An wie vielen Tafeln sich die ausgeschamten Wetterschmarotzer gütlich getan haben, darf Seeger nicht sagen. „Betriebsgeheimnis“, raunt er.

Uns schwant da etwas: Könnte der Quadratfabrikateur sich deshalb in Schweigen hüllen, weil er vom Sommerskandal weiß? Oder verbirgt sich gar die Heimatstadt der viereckigen Schokolade, Waldenbuch bei Stuttgart, hinter dem Sonnentempel der schwitzenden Schokoladenfutterer?

Ein Anruf bei Jörg Kachelmanns Wetterdienst Meteomedia verifiziert diese These nicht. Allerdings kann ein Skandal aufgedeckt werden, der alle Sommerverschwörungstheorien in den Schatten stellt: Zwar war der Sommer „subjektiv extrem beschissen“, wie Stephanie Schleß von Meteomedia bestätigt, objektiv aber lediglich ein halbes Grad zu kalt. Man stelle sich vor: Wir haben uns alles nur eingebildet! Der Sommer war durchaus befriedigend. Und all diejenigen, die das kapierten, haben sich vor lauter Stolz über den eigenen Durchblick gleich über alle Maßen an Blutorange-Joghurt und sommerlichem Gerstensaft vergriffen. Das erklärt die Zufriedenheit der Ökonomen.

Und das selbstgefällige Grinsen der Klugscheißer, die auf die Nachricht von Meteomedia nun eine Tafel Heidelbeer-Joghurt zücken, mitleidig lächeln und sagen: „Ich hab ja nie verstanden, was ihr mit eurem übertriebenen Hitzewahn eigentlich wollt. Also mein Sommer, der war nahezu andauernd schön!“