Hämmern mit dem Thinnam

Die erste Einzelausstellung der indischen Künstlerin Prabhavathi Meppayil in der Galerie Esther Schipper heißt „b/seven eighths“. Doch die Minimalistin ist keine Unbekannte: Schon 2013 gelang ihr der Durchbruch in Venedig

Ausstellungsansicht von Prabhavathi Meppayils „b/seven eighths“ Foto: Andrea Rossetti/Esther Schipper, Berlin

Von Julia Gwendolyn Schneider

Als Kind war es für Prabhavathi Meppayil ein großer Augenblick, wenn ihr Vater, ein Goldschmied, sie und ihre Schwester herbeirief, um ihm bei der Arbeit zu helfen. Sie durften dann mit dem Thinnam, einem traditionellen Werkzeug, mit dem filigrane Muster in Goldarmbänder geprägt werden, einen sanften Abdruck erzeugen. Wenn es um solch eine feine Vertiefung ging, hielt der Vater das Werkzeug für die Einkerbung bereit und ließ seine Töchter mit einem Hämmerchen sanft darauf schlagen. Oft sei der Schlag danebengegangen, erinnert sich Meppayil, aber der Vater beschwerte sich nicht, er habe seine Töchter glücklich machen wollen und gewusst, wie aufregend sie es fanden, ihm zu helfen.

Heute nutzt die 1965 in Bagalore geborene Künstlerin diese Technik für ihre minimale, abstrakte Kunst. In langsamer, meditativer Handarbeit stempelt sie mit viel Konzentration weiße Gesso-Paneelen mit dem Thinnam. Die kleinen dicht aneinandergesetzten Einkerbungen überziehen die weiße Oberfläche mit einem repetitiven Muster, das sich gitterförmig ausbreitet. Von Weitem betrachtet heben sich die weißen Platten kaum von der Wand ab. Nur wenn man dicht genug an sie herantritt, sind die Kerben zu sehen – und es lässt sich erkennen, dass sie unterschiedlich tief sind. Die Handarbeit wird sichtbar. Je nach Kraft und Winkel, mit dem die Metallspitze des Thinnam auf die Oberfläche des Kalkes trifft, variieren die Tiefe der Spuren und Abdrücke auf den Platten.

Wenn Meppayil aus dem Repertoire des Goldschmiedhandwerks schöpft, geschieht dies durch Abstraktion. Auf eine intuitive und konzeptuelle Art setzt sich die Künstlerin mit Materialien und Objekten aus ihrer unmittelbaren Umgebung auseinander. Sie kommt eben aus einer Familie mit Goldschmiedetradition, und ihr Studio liegt in einer Gegend in Bangalore, wo dieses Handwerk noch immer ausgeübt wird.

Meppayil benutzt nicht nur traditionelle Arbeitsgeräte; in ihrer ersten Einzelausstellung bei Esther Schipper werden diese Geräte selbst Teil eines Kunstwerks. Die Künstlerin hat eine Wandskulptur aus ausrangierten Stahlobjekten erdacht – Werkzeuge von Goldschmieden, die durch die Industrialisierung obsolet wurden. Die würfelförmigen Gegenstände zur Schmuckherstellung, mit denen früher Markierungen erzeugt wurden, bilden nun selbst eine Art Markierung. Sie stecken auf der Wand ein Raster aus Würfeln mit Löchern ab. Das so erzeugte Gittermuster ist streng geordnet und wirkt durch die verschiedenen Würfeloberflächen gleichzeitig organisch.

Für Meppayil liegt der spannende Moment darin, mit Materialien zu arbeiten, die eine Tradition, eine Geschichte und einen Kontext besitzen, zugleich aber als minimale, abstrakte Objekte wahrnehmbar sind. Die Künstlerin mag es, Dinge zu erzeugen, die sich nicht klar zuordnen lassen. Trotz der simplen Formensprache geht es Meppayil nicht um einen Purismus der Form. Ohne die Komplexität verschiedener aufeinandertreffender Aspekte wäre eine minimale Herangehensweise ihr zu langweilig.

Unerwartete Wendung

Der Aspekt des Zufalls, den Meppayil gern in ihre Werke einbaut, wird in den Arbeiten aus Gesso-Paneelen mit eingebetteten Kupferdrähten besonders deutlich. Dazu werden glatt gezogene Drähte horizontal über eine Holzplatte gespannt und mit dem Grundierungsmittel Gesso beschichtet. Im nächsten Schritt legt die Künstlerin die Drähte mit Sandpapier wieder etwas frei.

Nur wenn man dicht genug an sie herantritt, sind die Kerben zu sehen

Was am Ende sichtbar würde, seien sehr subtile Linien, die eine Art Versteckspiel spielen, sagt sie: Es gebe Linien, die direkt zum Vorschein kämen, andere nur teilweise oder auch gar nicht. Das Schmirgeln fühle sich wie blindes Zeichnen an. In dem Moment wo der Draht erscheint, müsse man anhalten, sonst könne der Draht kaputtgehen. „Das Material übernimmt die Führung,“ sagt Meppayil – und dass sie das als angenehm empfinde.

Dass Meppayil jetzt bei Esther Schipper ausstellt (zuvor wurde sie von der Johnen Galerie vertreten, und auch die Pace Gallery in London und die Galleryske in Banagalore und Neu-Delhi arbeiten mit ihr zusammen), war eine unerwartete Wendung in der Karriere der Künstlerin, die auf ihre Teilnahme an Massimiliano Gionis Venedig Biennale 2013 folgte. Im Arsenale wurden damals drei von Meppayils Gesso-Paneelen gezeigt. Die Künstlerin dachte, dass ihre Arbeiten neben den monumentalen Werken anderer Künstler verloren gehen würden. Doch dann zählte der Kunsthistoriker Benjamin Buchloh sie zu den wichtigsten Entdeckungen, und plötzlich klopften renommierte Galerien der globalen Kunstwelt bei ihr an.

Meppayil, die auch vor der Biennale in internationalen Ausstellungen vertreten war, sieht das mit gemischten Gefühlen: Es gehe ihr nicht darum, einfach Werke zu produzieren – der persönliche, meditative Prozess, in dem ihre Kunst entstehe, dürfe nicht abhandenkommen.

Bis 11. August, Esther Schipper, Potsdamer Str. 81e