Muss gar nicht immer laut sein

Seltsame Folkloren, Free Jazz als prima Diskussionsplattform und eine kollektive Schreitherapie mit Laurie Anderson: das „A l’arme!“-Festival im Radialsystem

Sie spielt, er schaut einfach mal zu: Laurie Anderson und Bill Laswell im Radialsystem Foto: Christian Mang

Von Thomas Mauch

Alles Musik. Da war zum Beispiel zu hören, wie Wasser behutsam von einem Glas in ein anderes geschüttet wurde und dann wieder zurück. Hin und her ging das und war mit dem sachten Plätschern des Wassers doch wohl ein ganz elementarer Sound.

Wenn man aber so was auf einer Festivalbühne hört, darf man sich sicher sein, dass da nicht der handelsübliche Pop verhandelt werden soll. Freundlich lockende Melodien waren dann tatsächlich das Einzige, was man bei „A l’arme!“ vermissen mochte, diesem von dem Berliner Musiker Louis Rastig konzipierten Festival. In den ersten Jahren widmete man sich bei „A l’arme!“ vor allem dem Free Jazz, um sich in Folge wirklich weit rundumschauend eigentlich alle musikalischen Spielarten mit einem experimentellen Antrieb zu begucken. Ein Festival, das mit Störgeräuschen spielt. Wo es gern laut und lärmend sein darf. Derb, heftig. So darf es hier sein. Muss aber auch nicht.

Gar nichts Lautes nämlich hatte das polnische Ensemble Księżyc im Programm, die Band, die da am „A l’arme!“-Donnerstag im Radialsystem eben mit dem Wasser spielte oder auch mit singenden Gläsern, man hörte seltsame Stimmen und durfte sich in einem geheimnisvoll raunenden und zischelnden Zauberwald verirren mit beschwörenden Klarinettenmelodien, ein Akkordeon wiegte sich in einem monoton gemurmelten Motiv, und von hinter den sieben Bergen her wehten einen fremde Folkoremusiken an. Alles ganz behutsam entwickelt, immer ruhig atmend in einer musikalischen Entschleunigung. Eine Entdeckung.

Die Prominenz bei der diesjährigen und damit sechsten „A l’arme!“-Ausgabe stand bereits am Mittwoch am Eröffnungsabend auf der Bühne, als Weltpremiere: die Zusammenarbeit von Bill Laswells Projekt Method of Defiance mit Laurie Anderson. Die New Yorker Performancekünstlerin spielte hier vor allem Geige und ein wenig Keyboards bei einer straff elastischen Musik. Am spannendsten war die, wenn eher unvermittelt verschiedene Stränge gleichzeitig verfolgt wurden, sich etwa ein kratziges Geigenspiel Andersons in Velvet-Underground-Erinnerung am strahlenden Jazz-Ton des Kornettisten Graham Haynes rieb. Meist allerdings blieb man in der Musik konfliktärmer und spielte von einem Heavy Jazz über Kunstrock zu dem herrlich stumpfen Funk, wie ihn Laswell auch Anfang der Achtziger mit seiner Band Material auf die experimentelleren Tanzböden gestemmt hat.

Mehr noch als von seinen Bass-Armierungen wurde die Musik von dem wuchtig präzisen Schlagzeugspiel von Guy Licata zusammengehalten, während Laswell sich immer wieder längere Pausen gönnte und manchmal fast teilnahmslos wirkte an diesem Abend – an dem man aber doch rundum angesichts der (lautlos) brüllenden Hitze im Saal einigermaßen ermattet war. Der Aufforderung von Laurie Anderson allerdings, mal alle Bedrängnisse in einem kollektiven Aufschrei herauszulassen, folgte das Publikum gern. Sekundenlang schrie es da gewaltig. Alarm. Lärm. Auch so ein Festivalmoment wie das eher stille Wasser.

Noch überraschender wäre es gewesen, wenn die Band mit Laurie Anderson noch „O Superman“ gespielt hätte, den Song, mit dem sie Anfang der Achtziger wie aus Versehen ja einen echten Hit hatte. So eine respektvolle Verneigung vor der eigenen Vergangenheit verkniff man sich aber. Hätte vielleicht ein wenig zu sehr nach Pop geschmeckt.

Aber bei einem Festival wie „A l’arme!“ geht es eben vor allem um die aktuelle Bestandsaufnahme. Und da war wieder am Donnerstag Eindrucksvolles zu hören: Andrea Belfi und Valerio Tricoli mit einer tricky Improvisationsmusik, die gar nicht mehr vom Jazz her gedacht ist, während ein mit Emilio Gordoa, Don Malfon, John Edwards und Dag Magnus Narvesen internatio­nal besetztes Quartett beherzt zeigte, dass halt auch der Free Jazz weiterhin eine prima Gesprächssituation bietet. So heftig und dicht wurde da miteinander debattiert, dass man meinen musste, diese vier würden allabendlich in dieser Runde zusammenkommen. Dabei war es ihr erstes Treffen in dieser Form überhaupt.

So aber muss man sich um den Jazz und das Experimentelle und damit auch um „A l’arme!“ wenig Sorgen machen. Zum Abschluss des Festivals am Samstag erinnert man an den 2013 verstorbenen polnischen Avantgardekomponisten Zbigniew Karkowski. Auch da sind wieder sehr unterschiedliche musikalische Ansätze zu erwarten.