Allein unter Österreichs Barbaren

VERGNÜGT Eine Debütantin spielt mit allen Sprachregistern: „Blasmusikpop“ von Vea Kaiser

Man staunt, wie reflektiert und ironisch Vea Kaiser die Prozesse des Coming-of-Age in ihrem Debütroman „Blasmusikpop“ kommentiert. Schließlich scheint die Autorin mit ihren 23 Jahren genau diesen Prozessen selbst gerade erst entkommen zu sein. 1988 wurde sie in St. Pölten, Niederösterreich geboren, der Roman liest sich stellenweise etwas altklug und trotzdem sehr vergnügt.

Johannes A. Irrwein, der Held der Geschichte, bezeichnet die Bewohner seines Heimatdorfs St. Peter am Anger als „Bergbarbaren“ und meint dies offiziell gar nicht abwertend, schließlich verwendet er den Begriff im Sinne des Historiografen Herodot, den er sich als Idol auserkoren hat. Die Griechen nannten jeden Fremden, der ihrer Sprache unkundig war, einen Barbaren. Das lässt sich auf die Dorfbewohner übertragen: von 497 Petrianern ist nur einer des Hochdeutschen mächtig, nämlich Johannes selbst.

Er ist der Enkel des einzigen Akademikers im Dorf und angehender Geschichtsschreiber. Sein erstes Projekt ist sein unmittelbares Umfeld, im Gegensatz zu dem kann Johannes zunächst nichts mit den dörflichen Traditionen anfangen. Nach und nach wird er aber immer mehr in die Ereignisse des Dorflebens verwickelt, von beobachtender Distanz zum Studienobjekt kann also bald nicht mehr die Rede sein.

Das zeigt sich auch an den verschiedenen Sprachregistern, mit denen die Autorin spielt. Außer den Passagen, die die wissenschaftlichen Schriften der Griechen parodieren, enthält der Roman Tagebucheinträge und Briefe seines schreibwütigen Helden, und als er die rothaarige Simona kennen lernt, muss sich Johannes wohl oder übel auch mit den neuen Medien auseinandersetzen.

Die Dorfbewohner, die in Mundart zitiert werden, ahnen natürlich nichts von ihrer ethnologischen Funktion, ihnen ist es jedoch zu verdanken, dass Johannes überhaupt auch in unwissenschaftliche Zustände versetzt wird: neben diversen Räuschen, in denen Johannes bevorzugt Herodot zitiert, wird er Opfer jugendlicher Liebeswirren.

In seiner pointierten Überzogenheit erinnert manches an die Komödie „Wer früher stirbt, ist länger tot“ von Marcus H. Rosenmüller, manches lässt aber auch an „Hundert Jahre Einsamkeit“ von Gabriel García Márquez denken, und wenn es eine österreichische Form des Magischen Realismus gäbe, dann wäre Vea Kaisers’ „Blasmusikpop“ nicht weit davon entfernt. Immerhin können die Frauen aus der Mütterrunde Schlaftränke zaubern, Vögel sind in der Lage, die Luft anzuhalten, und das ewig Gleiche wiederholt sich geduldig.

Als sämtliche Kinder des Dorfes beginnen, an der Existenz des „Christkinderls“ zu zweifeln, hüllt sich einer der erfindungsreicheren Dorfbewohner in das Hochzeitskleid der verstorbenen Mutter und huscht mit blonder Perücke durch die Gärten. Das wirkt bei fast allen Kindern, nur eins bewaffnet sich mit Zahnbürste und Spielzeuggewehr und ruft: „I mach des Monster tot!“ Andersartige haben es eben schwer in so einer eingeschworenen Gemeinschaft, aber mit der Zeit findet jeder seinen Platz.

Mit jeder der in das Gesamtbild eingewobenen Geschichten beweist Vea Kaiser Fantasie und gute Recherche, so dass „Blasmusikpop“ nicht als simpler Heimatroman oder Klischeeversammlung abgetan werden kann. Nur Johannes A. Irrwein hält St. Peter bis zur Hälfte des Romans für den langweiligsten Ort der Welt, an dem „sich sogar die Kühe fadisieren“. Aber auch dieser Held stellt nach einem Schlüsselerlebnis fest, dass er den Gesichtsausdruck der Kühe wahrscheinlich lediglich falsch gedeutet hat. CATARINA VON WEDEMEYER

Vea Kaiser: „Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam“. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2012, 496 Seiten, 19,99 Euro