wortwechsel
: Ein alter Streit über falsche Gleichsetzung

Wer und was alles antisemitisch ist, bleibt eine ungelöste Frage. Außerdem: Identitätsfragen – eine etwas zu steile These – Lob der Berichterstattung – und Stuttgart …

Mit gezieltem Beinschuss bekämpft der Staat Israel Protest in Gaza Foto: Khalil Hamra/ap

„Ich habe ja nichts gegen Juden, ABER …“, „Die Zukunft findet anderswo statt“, „Corbyns Labour-Partei provoziert neuen Streit über Antisemitismus“, taz vom 10. 7. 18

Schlimmer als jede Kritik

Gleich zwei Artikel in der taz lassen Zweifel bei mir aufkommen, ob die taz wirklich die zweifelnd-kritische, Gemeinplätze und vorherrschende Denkweisen hinterfragende Zeitung ist, als die ich sie jahrelang angesehen habe.

Im Leitartikel auf Seite 1 bezeichnet Klaus Hillenbrand die von Palästinensern und Juden gegründete und unterstützte Bewegung Boycott, Divestment, Sanctions (BDS) als antisemitisch. Er schreibt: „Selbiges gilt … für die Bewegung BDS, die in Deutschland den jüdisch geprägten Staat boykottiert, auf dass er sich bitte zurückziehe – ja, wohin eigentlich? Das ist nicht so genau definiert. Vielleicht doch ins Mittelmeer?“

BDS boykottiert nicht den „jüdisch geprägten Staat“ (was ist das denn?), sondern die Regierung des säkularen Staates Israel wegen deren völkerrechtswidrigen und menschenrechtsverletzenden Ak­tio­nen gegenüber den Palästinensern. Zurückziehen soll sich Israel nicht ins Mittelmeer, sondern aus den besetzten und illegal besiedelten palästinensischen Gebieten.

Im Gespräch mit dem israelischen Dirigenten Ilan Volkov (Seite 13) müht sich Julian Weber in geradezu penetranter Weise, seinen Gesprächspartner zu einem negativen Urteil über BDS zu verleiten. Der hingegen hat – wie viele rechtsstaatlich denkende Israelis – Verständnis für die Motive der Bewegung BDS und kontert die Suggestivfragen mit klaren Ansagen wie: „Was die israelische Regierung den Palästinensern antut, ist schlimmer als jede Kritik an Israel.“ „Aber es gibt auch seit mehr als 70 Jahren den Konflikt mit den Palästinensern, und keine Lösung ist in Sicht. Die amtierende Regierung will, dass die Dinge bleiben, wie sie sind.“ Und: „Ich verschweige nicht, dass es Antisemitismus gibt, aber was hat er mit der BDS-Strategie zu tun?“

Von einer kritischen Zeitung wie der taz erwarte ich, dass sie die Gleichsetzung von Antisemitismus und Kritik an der Politik Israels nicht übernimmt.

Wolfgang Schneider-Barthold, Bonn

Das gehört angeprangert

Ich habe nichts gegen Juden, Christen, Muslime, Buddhisten oder welche Religion auch immer. Aber trotz aller Antisemitismusinvektiven des Herrn Hillenbrand habe ich heftige Kritik an der israelischen Regierung, insbesondere was deren Umgang mit den Palästinensern angeht. Mit Scharfschützen auf Demonstranten zu schießen, ist keiner Regierung erlaubt und eine eklatante Verletzung der Menschenrechte. Was sich die rechtsradikale israelische Regierung gegenüber den Palästinensern leistet, gehört angeprangert und kritisiert.

Das geschieht auch in Israel selbst, es ist ja nicht so, dass die israelische Gesellschaft, zu der auch 1,2 Millionen israelische Palästinenser gehören, wie ein monolithischer Block hinter Netanjahu stünde. Wenn Kritik an der israelischen Regierung unter dem Antisemitismustabu subsumiert würde, wäre das ein eklatanter Anschlag auf die Meinungsfreiheit. Conrad Goerg, Bad Ems

Missachtung des Rechts

Aus der Anleitung zur Strafverfolgung rassistischer und religiöser Hassdelikte der britischen Staatsanwaltschaft (The Crown Prosecution Service) geht nicht hervor, dass die Wahrnehmungen der Opfer von Diskriminierung bestimmen, was Rassismus ist, wie Daniel Zylbersztajn schreibt. Anschuldigung von Diskriminierung führt zu einem Hinweis, dass Rassismus vorliegen könnte, aber es muss dann festgestellt werden, ob tatsächlich Rassismus vorliegt. Die alleinige Wahrnehmung eines direkt Betroffenen, oder eines Zeugen, nimmt nicht das Urteil darüber vorweg.

Bei Klaus Hillenbrands Artikel auf der Titelseite frage ich mich, ob er überhaupt irgendeine Form von berechtigter Kritik an der Politik Israels gegenüber den Palästinensern akzeptieren und als nicht antisemitisch und feindselig einordnen kann. Auch ihm dürfte doch bekannt sein, was Richard Falk, Professor für internationales Recht und internationale Beziehungen und vormaliger Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen, für „die Situation der Menschenrechte in den palästinensischen Autonomiegebieten“ feststellt, nämlich dass Israels Missachtung des internationalen Rechts und der internationalen Institutionen allgegenwärtig und schwerwiegend ist.

Manuela Kunkel, Stuttgart

Verkürztes Argument

Verdammt verkürzte Argumentation. Es gibt Antisemitismus in offener wie verdeckter Form, und dieser macht sich im Zuge der allgemeinen Verrohung breit und ist absolut zu bekämpfen. Es gibt aber auch Kritik an der offiziellen Politik Israels, die nicht automatisch etwas mit Antisemitismus zu tun haben muss. Der Satz: „Antisemitismus wird nicht harmloser, wenn er im Gewand …der Israel-Kritik erscheint“, suggeriert dies allerdings. Differenzierung muss möglich sein.

Torsten Meineke, München

„Wer ist Wir?“

„Weniger Stereotype, mehr Diversität“, taz vom 5. 7. 18

Vielen Dank für den Artikel. Dieser hat mich sehr an ein Buch erinnert: „Wer ist Wir“ von Navid Kermani. Er ist der Meinung, dass die Identität eines Menschen nicht auf seinen Glauben beschränkt werden darf, eine Person hat verschiedene Identitäten (kulturell, gesellschaftlich, sprachlich …). In der Gesellschaft in Deutschland sprechen wir nicht von den „Christen“, „Katholiken“ oder „Protestanten“. Die religiöse Zugehörigkeit spielt nur eine Rolle für eine beziehungsweise zwei bestimmte Zielgruppe/n. Heißt das nicht Diskriminierung?

Sterenn Coudray, Frankfurt am Main

Überhöhte Sexualität

„Die Arbeit an dem, was Identität ist“, taz vom 30. 6./1. 7. 18

Ich habe selten eine solche Überhöhung von Sexualität und Geschlecht für die Identität gesehen. Mädchen können auch dann Fußball spielen wollen, wenn sie hetero sind, ebenso wie Heterojungs Prinzessinnen sein wollen können. Sexualität bestimmt nicht die Identität. Dass eine Abweichung nicht wenige Menschen in eine Identitätskrise stürzt, hängt mit den sozialen Bedingungen zusammen, die hier teilweise naturalisiert werden. Man muss Unterschiede nicht größer machen, als sie sind. Es gibt zig andere Dinge, die ebenso wichtig für die Identität sein können: gemeinsame Werte, Nationalität, Musikgeschmack …Kurz gesagt: Sexualität kann, aber muss nicht elementar für die Identität sein. Tim Schubert, Bielefeld

Süffisante Gemeinheit

„Lektion in Demut“, taz vom 12. 7. 18

Mit süffisanter Gemeinheit, feixend, entblödet sich Heimathorst Minister, die Abschiebung von 69 Menschen öffentlich kundzutun, als nicht bestelltes Geschenk zu seinem 69. Geburtstag. Wie moralisch verkommen muss man sein, um sich so darzustellen? Am nächsten Tag wird das Ergebnis seines „Erfolges“ bekannt, ein junger Mensch erhängt sich aus Verzweiflung über die Abschiebung. Ein Innenminister lehrt die Welt, welch Geistes Kind in Deutschland Karriere macht.

Raimund Schorn-Lichtenthäler, Datteln

Mutige gesucht!

„Es hört nicht auf“, taz vom 12. 7. 18

Welcher Verfassungsschützer hat den Mut, in das hessische Archiv zu gehen, die 120 Jahre lang geschützten (vor wem?) NSU-Akten herauszuholen und den Medien und der Öffentlichkeit zu übergeben? Wer möchte sich den Dank von DemokratInnen verdienen? Auf geht’s – beweist, dass ihr die wahren Verfassungsschützer seid! Es darf auch der Chef sein.

Klaus Zerkowski, Rothenburg o. d. T.