„Nur noch ein Problem mehr“

QUEER Die diesjährigen Lesbisch Schwulen Filmtage stehen vom 16. bis 21. Oktober unter dem Zeichen von Wut. Ein Gespräch mit Manny de Guerre aus Petersburg, die eine Reihe von russischen Filmen vorstellt

INTERVIEW KENDRA ECKHORST

Auf dem Programm stehen historische Zeugnisse queerer Widerstandsbewegungen. Aber auch aktuell geht der Kampf weiter, wie das Programm „St. Petersburg“ mit Filmen und Diskussionen ins Gedächtnis ruft. Unter welchen Bedingungen Filme gedreht und das diesjährige „Side by Side-International Film Festival“ in Petersburg über die Bühne gehen kann, erzählt Manny de Guerre, die Gründerin des Festivals.

taz: Auf den diesjährigen Filmtagen in Hamburg wird unter anderem die Dokumentation „An die Freundinnen“ gezeigt, die Lesben in St. Petersburg in den Jahren 1992 und 2012 porträtiert. Was sind für Sie Erfolge oder Rückschritte in den letzten 20 Jahren?

Manny de Guerre: Anfang der neunziger Jahre gab es einige Aktivitäten von Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen (LGBT) in Russland, die sich allerdings alsbald ausschließlich in die Clubs verlagerten. In den letzten drei Jahren fand die Bewegung wieder zusammen, trat für ihre Interessen ein und forderte die Einhaltung ihrer Rechte. Verschiedene Organisationen gründeten sich, die Sichtbarkeit von lesbischen und schwulen Menschen nahm zu, ihre Stimmen wurden lauter, und die Medien berichteten vorurteilsfreier. Diese Entwicklung kam nicht in allen Ecken der Gesellschaft gut an, und momentan ist die Bewegung mit einem Rückfall konfrontiert. Rigorose Kampagnen, die Homosexuelle als Perverse, Sünder oder Pädophile brandmarken, wurden von konservativen Regierungsmitgliedern, der orthodoxen Kirche und rechtsextremen und nationalen Gruppen initiiert und unterstützt. Sie gipfelten in dem Gesetz zum Verbot von Homopropaganda, das die Informationen und die Aufklärung über Homosexualität kriminalisiert. Das Gesetz, das zurzeit regional begrenzt ist, wird von vielen weiteren Gemeinden und Städten adaptiert. Auf Initiative des Parlaments von Novosibirsk steht eine landesweite Fassung zur Diskussion.

Was bedeutet das Gesetz persönlich für Sie?

Als Gründerin des Festivals bin ich mit zahllosen Problemen und Widerständen konfrontiert. So wurde „Side by Side“ 2008 von den politischen Behörden unter Druck gesetzt, die Filmvorführungen abzusagen. In Kemerova und Tomsk gab es in den letzten Jahren ähnliche Bemühungen. Das waren sehr stressige Situationen, die ein großes Geschick erforderten. Seit dem das Propagandagesetz in einzelnen Landesteilen in Kraft getreten ist, veränderte sich das Klima. Beim diesjährigen Festival in Sibirien wurden wir verstärkt mit Gewalt bedroht. Für mich persönlich bedeutet das Gesetz nur noch ein Problem mehr, mit dem ich umgehen muss. Ich versuche es pragmatisch zu sehen.

Wie wirkt sich das Gesetz zum Verbot von „Homopropaganda“ auf Filmvorführungen aus? Werden nur noch Filme ohne eindeutige Szenen gezeigt?

Wir lieben es, qualitativ hochwertige Filme zu zeigen, die auch für ein russisches Publikum relevant und interessant sind. Nach diesen beiden Kriterien wählen wir aus, und wenn es in dem Streifen explizit wird, zeigen wir es auch.

Dieses Jahr präsentieren Sie einen Schwerpunkt russischer Produktionen. Wir sieht die queere Filmszene in St. Petersburg aus?

Es ist eine sehr kleine Szene, die Filmschaffenden sind jung und es sind überwiegend ihre ersten Filme, die sich mit Fragen des Coming-Outs und Homophobie beschäftigen.

Wie laufen die Vorbereitungen für das fünfte Filmfestival, das Ende Oktober die Kinos bespielen wird?

Der einzige Unterschied ist, dass wir die Angabe „über 18 Jahre“ auf alle unsere Veröffentlichungen gesetzt haben. Ansonsten hätte uns nach dem neuen Gesetz eine Geldbuße von 12.000 Euro gedroht, die unsere Organisation ruiniert hätte. Weiterhin halten wir an dem offenen Charakter des Festivals fest und sprechen ein möglichst breites Publikum an. Auch ein heterosexuelles im übrigen – unsere Statistik hat gezeigt, dass 29 Prozent der Heterosexuellen in Russland Interesse an LGBT-Themen haben.

Weitere Informationen unter und Programm unter www.lsf-hamburg.de