berliner szenen
: Plötzlich und ohne Warnung

Mitten in der Nacht stehe ich vor verschlossener Haustür und warte auf meine Mitbewohnerin. Alles was mir geblieben ist, ist mein Drehzeug, und so drehe ich mir eine Zigarette und bin froh, dass auch mein Feuerzeug noch in meinem Besitz ist. Alles andere ist weg. So fühlt es sich wohl an, wenn man unversehens aus dem Leben geschmissen wird. Ich merke, während ich ein letztes Mal an meiner Zigarette ziehe, dass ich ins Theatralische abrutsche. Wenn nicht jetzt, wann dann, denke ich und lasse mich hineinfallen.

Noch vor ein paar Stunden, am frühen Abend, war alles wunderbar. Ein laues Lüftchen hat den Geruch des Landwehrkanals gepaart mit dem Duft blühender Linden an meine Nase getragen, während ich einer Freundin gegenüber saß und an meiner Weißweinschorle nippte. Wir bestellten grüne Oliven und bekamen schwarze, aber was macht das schon. Wir beobachteten das rege Treiben nahe der Kottbusser Brücke, als säßen wir auf den Champs-Élysée. Wir fütterten die kleinen Spatzen, die auf unseren Tisch hüpften, mehr aus Angst als aus Zuneigung. Dann passierte es. Ganz plötzlich und ohne Vorwarnung boxte uns die Realität aus dem sommerlichen Schwelgen. Meine Handtasche war geklaut worden, ohne dass wir es bemerkt hatten. Wir liefen noch etwas umher, in der Hoffnung meine geliebte Ledertasche irgendwo aus dem Gebüsch zu fischen. Meine Freundin lieh mir Geld und so trennte ich mich wehmütigen Blickes von meinem angeschlossenen Fahrrad, das, als Geisel genommen, kläglich an den Laternenpfahl gekettet zurückblieb. Den Taxifahrer interessierte meine Geschichte nicht die Bohne.

Immer noch wartend drehe ich mir eine weitere Zigarette, zünde sie an und verfluche die Welt, die es mir nicht gönnt, Berlin im Sommer zu genießen.

Marlene Militz