Spaniens Kampf um Deutungshoheit

„Calvo Sotelo“ oder „14. April“: Die Namensänderung einer Madrider Schule erregt die Gemüter – fast 80 Jahre später

Aus Madrid Reiner Wandler

„Namen sind Erinnerung und Geschichte“, argumentiert ein breites Bündnis aus Lehrern, Eltern, Schülern sowie Gewerkschaften und linken Parteien in Madrid. Sie streiten um den Namen von elf Schulen in der spanischen Hauptstadt. Sie wurden alle in den ersten Jahren der Zweiten Republik (1931 bis 1939) gebaut und eingeweiht. 1936 putschte ein Teil des Militärs unter General Francisco Franco. Nach drei Jahren Bürgerkrieg marschierten die faschistischen Truppen am 1. April 1939 in der Hauptstadt ein.

„Helden unseres Kreuzzuges“

Franco – nun Spaniens „Führer von Gottes Gnaden“ – erließ ein Dekret, um die Schulen aus der Republik umzubenennen. Künftig sollten sie nach „repräsentativen Personen unserer Nationalen Bewegung, wegen ihrer nationalen Bedeutung illustren Männern, Helden unseres Kreuzzuges oder im Kampf gefallener oder von den Roten ermordeter Lehrer“ heißen. Das Erbe der Republik wurde so ausradiert, bis heute, 43 Jahre nach Ende der Diktatur. Selbst dort, wo die franquistischen Namen gestrichen wurden, wurden neue eingeführt. Die konservative Regionalregierung weigert sich strikt, den Schulen die republikanischen Namen zurückzugeben.

Allen voran geht es um die Schule Calvo Sotelo, unweit des Bahnhofs Atocha. Als sie 1933 vom Präsidenten der Republik, Niceto Alcalá-Zamora, höchstpersönlich eingeweiht wurde, hieß sie „14. April“, nach dem Tag, an dem 1931 König Alfonso XIII.das Land verließ und der Republik den Weg freimachte. Calvo Sotelo ist nicht etwa, wie viele irrtümlich glauben, Leopoldo Calvo Sotelo, der zweite Ministerpräsident der aktuellen Nach-Franco-Demokratie, sondern José Calvo Sotelo, Finanzminister unter Diktator Miguel Primo de Rivera. Calvo Sotelo, der die rechte Opposition in der Republik anführte, fiel nur wenige Tage vor Beginn des Bürgerkrieges einem Attentat zum Opfer.

Dank Franco verlor nicht nur die „14. April“ ihren Namen, sondern auch die Schule, die nach Pablo Iglesias, dem Gründer der Sozialistischen Spanischen Arbeiterpartei (PSOE), benannt war. Sie wurde 1939 zur „José Antonio Primo de Rivera“, dem Gründer der faschistischen Falange. Als Franco 1975 starb und Spanien zur Demokratie zurückkehrte, wurde die Schule erneut umbenannt. Seither heißt sie „Isabel, die Katholische“, nach der spanischen Königin, die nach langem Krieg für die Einheit Spaniens und die Vertreibung der Juden und Muslime Ende des 15. Jahrhunderts verantwortlich zeichnete.

Generäle statt Schriftsteller

Die Reihe ließe sich fortführen. Aus dem „Lope de Rueda“ (einem Schauspieler und Schriftsteller) wurde „Virgen de la Almudena“, benannt nach der Madrider Stadtheiligen. Die impressionistische Malerei gefiel den Faschisten nicht. Aus „Joaquín Sorolla“ (einem Maler) wurde „Rufino Blanco“: Der Journalist war Anhänger Francos und wurde wenige Monate nach Beginn des Bürgerkrieges im von den Verteidigern der Republik kontrolliertem Gebiet ermordet.

Manche Schulen änderten den Namen in den Jahren der Republik und des Bürgerkriegs gleich mehrmals. Erster Namensgeber war der Präsident der ersten spanischen Republik, Emilio Castellar. Er wurde bald schon durch Jaime Vera ersetzt. Der Arzt ist der Gründer der modernen Psychiatrie in Spanien und ein bekannter Sozialist. Franco schließlich widmete die Schule Tomás de Zumalacárregui, einem General aus den Karlistenkriegen. Heute heißt die Schule wieder „Jaime Vera“.

Nur wenige Schulen aus der Republik büßten ihren Namen nicht ein. So zum Beispiel die „Miguel de Una­muno“ im Süden der Madrider Innenstadt. Der Philosoph und Schriftsteller Unamuno glaubte, im Bürgerkrieg als angesehener Intellektueller zwischen den beiden Parteien vermitteln zu können. Als die faschistischen Truppen begannen, Intellektuelle zu ermorden, sah Unamuno ein, dass er sich getäuscht hatte. „Ihr werdet siegen, aber nicht überzeugen!“, rief er auf einer Ansprache an der Universität von Salamanca. Im Publikum saß die Ehefrau Francos, Carmen Polo, und der Gründer der spanischen Legion, General José Millán-Astray. „Es sterbe die Intelligenz! Es lebe der Tod!“, schrie er.

Bis vor wenigen Wochen zierte der Name dieses Putschgenerals eine Straße in Madrid. Die Stadtverwaltung hat sie sowie weitere 48 Straßen umbenannt. Sie heißt jetzt nach der von den Faschisten zur Haftstrafe verurteilten Lehrerin Justa Freire.