Der Zeichner forscht weiter

Die Kneipe am Schulweg und die Neugier des Anthropologen: Andreas Seltzer in der Galerie Stella A

Von Katrin Bettina Müller

In den 1990er Jahren gehörten Ausstellungen von Andreas Seltzer zu denen, die mir nachhaltig in Erinnerung blieben. Dabei stellte er, der Künstler, Autor und Kurator ist, damals gar nicht eigene Zeichnungen aus, sondern Konvolute von anderen, die sich selbst gar nicht unbedingt als Künstler verstanden, eher als Forscher, Sammler, Erfinder. Das Verhältnis dieser visuell anregenden Bildwelten zur Realität war nicht von künstlerischem Interesse geleitet, sondern von sachlichen Themen, Obsessionen und Ordnungsmustern. Und dennoch bestachen sie oft durch ihre eigenwillige Ästhetik.

Das gilt nun auch für die Serien eigener Zeichnungen, die er seit ungefähr zehn Jahren in den Galerien von Laura Mars und Stella A gezeigt hat. Zurzeit ist bei Stella A der zweite Teil der über drei Jahre hinweg entstandenen Serie „Die Sonne von Mexiko“ zu sehen. Über handgezeichnetem rotweißen Grund, kariert wie Millimeterpapier oder Tischdecken, schweben voneinander isoliert einzelne gegenständliche Teile in Schwarzweiß. Manches erinnert an Landkarten, anderes an Teile von Maschinen und Haushaltsgeräten, man denkt an den Spion, der Staubsauger-Elemente als Teile einer Geheimwaffe verkaufte. Teils hat die Dingwelt Augen, teils taucht mitten in etwas Abstraktem ein Grinsen auf. Fast jedes Element ist wie der Anfang einer Erzählung, etwas erkennt man wieder, findet eine Anknüpfung, aber schwupps, springt der Gedanke wieder von der Schippe und der Blick gleitet zum nächsten Ding.

Der Titel der Ausstellung, „Die Sonne von Mexiko“ , greift, so erfährt man im einzigen Text aus einem kleinen Katalog, den Namen einer Kneipe auf, an der Andreas Seltzer als Kind auf seinem Schulweg vorbeikam, im Frankfurter Bahnhofsviertel. Weil die Gegend verrucht war, regte sie die Fantasie an und etwas von der Lust am Fabulieren, an der Suche nach dem Unwahrscheinlichen und Unheimlichen, nach dem Verblüffenden und dem Lustigen scheint auch in den Zeichnungen die Dinge vorwärts zutreiben. Der rotweiß gewürfelte Grund hat auch eine nostalgische Anmutung, er passt zur Zeitreise in die Kindheit; unter die visuellen Erzählsplitter sind viele gemischt, die an alte Science Fiction erinnern, als die Zukunft noch ein Abenteuer schien und nicht von Müll und Angst besetzt. Alles wirkt zudem verkleinert, wie aus weiter Ferne gesehen.

2017 brachte Andreas Seltzer einen Essayband mit gesammelten Aufsätzen heraus, „Bilderkunde“ (Verlag Vorwerk 8). Er hat seit den 1980er Jahren über Sammler von Gummitextilien geschrieben, über kriminaltechnische Sammlungen, vom Fundus auf dem Dachboden der Sozialen Künstlerförderung, von Zauberläden und Fundbüros. Immer mit einer großen Lust an der Kulturgeschichte des Alltäglichen, am Entwirren der Fäden unterschiedlicher Kontexte, an mythischen Aufladungen.

Dieser stets neugierige und dem Marginalen zugewandte Blick, der an keiner Bedeutung festklebt und immer noch ein bisschen weiterschweift, spielt auch für seine Bildanordnungen eine große Rolle. Was zu sehen ist, tanzt leicht über die Oberfläche, wie vom Wind hier- und dorthin getragen. Besser kann man das Vergängliche nicht feiern.

„Die Sonne von Mexiko“, Stella A, Gipsstr. 4, bis 18. August, Mi – Sa 14 – 19 Uhr