Mehr Frosch als Storch

Bei Holstein Kiel realisiert man nach dem Beinahe-Durchmarsch in die Erste Liga, dass der Club an einer ungünstigen Stelle in der Nahrungskette des Profifußballs steht. Der Zweitligist muss viele Verluste auffangen

Von Christian Görtzen

Als gäbe es nicht schon genug Baustellen beim Fußball-Zweitligisten Holstein Kiel: Der Ausbau des Holsteinstadions wird wohl wesentlich teurer als kalkuliert. Ursprünglich waren 10,4 Millionen Euro für den Neubau der Osttribüne veranschlagt worden, die ein Fassungsvermögen von 4.500 Zuschauern haben soll. Jetzt drohen Mehrkosten in Höhe von knapp 1,8 Millionen Euro. Diese Summe sei das „Worst-Case-Szenario“, sagte der Sportdezernent der Stadt Kiel Gerwin Stöcken im NDR.

Vieles ist im Auf- und Umbruch bei der Kieler Sportvereinigung Holstein von 1900. Die Modernisierung der Infrastruktur ist das eine. Das andere ist eine umfangreiche Neuaufstellung im sportlichen Bereich. Das exzellente Abschneiden in der vergangenen Saison, in welcher der Aufsteiger erst in der Relegation gegen den VfL Wolfsburg den Aufstieg in die Erste Bundesliga verpasst hatte, hat sich zu einer enormen Herausforderung ausgewachsen. Plötzlich bekamen die „Störche“ zu spüren, dass sie im harten Profigeschäft an der Schwelle zur Bundesliga keinen günstigen Platz in der Nahrungskette einnehmen – mehr Frosch als Storch.

Die großen Fußballvereine kamen und pickten sich die Filetstücke heraus – auf allen Ebenen. Der sicherlich schmerzhafteste Verlust ist der des Cheftrainers Markus Anfang. Der gebürtige Kölner hatte Holstein in der Dritten Liga übernommen und zum Aufstieg in die Zweite Liga geführt, wo die Kieler davor zuletzt 1981 gespielt hatten. Unter ihm sorgte der Abstiegskandidat Nummer eins dort überraschenderweise für Furore. Mit zielstrebigem Angriffsfußball wurde Holstein zur offensivstärksten Mannschaft der Liga.

Diese Linie will der selbstbewusste Nachfolger Tim Walter fortsetzen, der zuletzt Bayern München II trainiert hat. „Ich stehe ebenfalls für einen dominanten und offensiven Fußball“, sagte der 42-Jährige. „Ich möchte, dass meine Mannschaft agiert, viel Ballbesitz hat und viel Gegenpressing betreibt. Wir wollen hoch und aggressiv verteidigen.“

Auch Sportchef Ralf Becker hatte Aufsehen erregt und wurde vom neuen Liga-Konkurrenten Hamburger SV abgeworben. Der 47-Jährige war von Juni 2016 an mit seinem guten Blick für Talente und ältere Akteure mit noch nicht ausgeschöpftem Potenzial ein Baumeister des Kieler Erfolges. Nachfolger ist Fabian Wohlgemuth, der vom VfL Wolfsburg an die Ostsee zog.

Viel wird davon abhängen, ob das Zusammenspiel von Walter und Wohlgemuth so gut funktioniert, wie das von Anfang und Becker war. Denn auch das Team wurde ordentlich gerupft: Offensivspieler Dominick Drexler wechselte zum dänischen Meister FC Midtjylland, Kapitän Rafael Czichos zum 1. FC Köln, und Marvin Ducksch war vom FC St. Pauli nur ausgeliehen. Der Top-Torjäger versucht sich nun in der Bundesliga bei Fortuna Düsseldorf. Auch der Weggang von Kingsley Schindler droht noch.

Namhafte Zugänge gibt es bislang nicht. Der Bekannteste ist noch Stürmer Benjamin Girth, der vom Drittligisten SV Meppen kommt. Ansonsten sind es Spieler aus den zweiten Teams oder dem Juniorenbereich der Bundesligisten. Holstein setzt seine Linie fort: Einen Namen können sie sich hier machen.