Strafen und überwachen

HAFT Was die Verurteilten im Straflager erwartet

Nur einmal in der Woche dürfen die Gefangenen im Straflager ein Bad nehmen

MOSKAU taz I „Die Atmosphäre ist unerträglich. Überall Willkür und Gewalt. Wenn du hier jemals wieder herauskommst, bist du todkrank, physisch und psychisch“, klagte eine Lagerinsassin über die Lebensbedingungen im russischen Strafvollzug jüngst im russischen Fernsehen. Die Situationsbeschreibung hätte auch von Pjotr Kropotkin stammen können. Vor 150 Jahren schon klagte der adlige Anarchist, Russlands Gefängnisse seien „vom Staat unterhaltene Verbrecherhochschulen und Brutstätten physischer und moralischer Verkommenheit“.

Die beiden zur Haft verurteilten Frauen von Pussy Riot, Maria Alechina und Nadeschda Tolokonnikowa, müssen spätestens in zwei Wochen in eine Strafkolonie verlegt werden. 35 Straflager für Frauen gibt es, verteilt über ganz Russland, in denen an die 60.000 Frauen einsitzen. Das sind etwa 5 Prozent aller Straffälligen. Anders als Männer werden Frauen häufig in Kolonien untergebracht, die von Familie und Wohnort weit entfernt sind. Der Grund sei die geringere Zahl von Frauenlagern, heißt es.

Die Punkerinnen wurden zu Lagerhaft unter „gewöhnlichen Bedingungen“ verurteilt. Das System verfügt auch über Kolonien mit strengen und geringeren Auflagen. In einem unterscheiden sich die Einrichtungen aber nicht: Überall beklagen sich die Frauen über die hygienischen Verhältnisse. Nur einmal in der Woche dürfen Gefangene ein Bad nehmen. Für heißes Wasser müssen sie selbst sorgen. Die Regeln des Lagerlebens nehmen auch keine Rücksicht auf psychische und physische Bedürfnisse von Frauen.

Etwas nachsichtiger geht der Strafvollzug mit jungen Müttern um. In 13 Lagern dürfen Kleinkinder bis zum dritten Lebensjahr bei ihren Müttern in separaten Häusern bleiben. Danach müssen die Frauen zurück in die Baracken, in denen bis zu 70 Gefangene in einem großen Raum schlafen. Die Kinder kommen in ein Heim oder zur Familie. „Sona“ – Zone – nennen Russen dieses Lagersystem ehrfürchtig. Generationen wurden darin verschlissen. KLAUS-HELGE DONATH