Diese Nacht wird unvergänglich sein

Die Welt da draußen soll in ihre Show der Happiness nicht vordringen, aber: 2:1. Helene Fischer feierte am Samstag in Leipzig den Auftakt ihrer neuen Stadiontour

Von Juliane Streich

„Spürst du das?“ Immer wieder diese Frage: „Spürst du das?“ So lautet das Motto der Tour von Helene Fischer. Immer wenn sich die erfolgreichste Künstlerin des Landes in ihrer Liveshow umziehen geht, zeigt die Videoleinwand ihr Gesicht und sehr viel ihrer Haut in bester Bodylotion-Werbeästhetik, während ihre Stimme Sprüche haucht wie „Spürst du diesen Augenblick?“ oder „Diese Nacht soll für uns unvergänglich sein“. Eben darum geht es bei der großen Stadiontour Fischers: den Augenblick einer unvergänglichen Nacht spüren.

Bevor die Sängerin die Bühne des Leipziger Fußballstadions betritt, steigt regenbogenfarbener Rauch auf. Buntes Konfetti wird in die Menge geschossen. „Lass uns fliegen“ singt sie, und etwa 40.000 Menschen stimmen ein. „Ich liebe euch jetzt schon!“, ruft Helene Fischer ihnen entgegen. „Ihr spielt heute die Hauptrolle.“ Das ist natürlich Quatsch. Die Masse klatscht und schunkelt im Takt, aber die Hauptrolle spielt die Sängerin, die mit viel Tamtam, Tänzern und Feuerwerk immer wieder neu in Szene gesetzt wird: als Traumfrau für jedermanns Geschmack. Mal die gutaussehende Frau von nebenan, mal die sexy Lady, die vor einer überdimensionalen Muschel tanzt, mal die erotische Femme fatale in Schwarz-Weiß oder die Draufgängerin, die nur knapp bekleidet auf einem wackelnden Herz wie beim Rodeo reitet. Und selbstverständlich nie fällt.

Alles soll perfekt sein in dieser sekundengenau durchchoreografierten Show. Nur regnet es leider an diesem Samstagabend, während Helene Fischer vor Sonnenaufgang-am-Meer-Bildern von einer großen Sommerparty singt. „Das sind Freudentränen, weil wir endlich wieder auf Tour gehen“, lässt sie sich nicht beirren. Dann legt sie sich ein Jeanshemd wärmend um den Hals, was wohl der einzige Move ist, den kein Styleberater mit ihr durchgesprochen hat. Abgesehen vom Wetter ist der Termin des Auftaktkonzerts ihrer Tour auch ungünstig, weil es zeitgleich zum Spiel der Nationalmannschaft stattfindet, deren Fans sich mit denen von Helene Fischer in großen Teilen überschneiden dürften. So bekommt die Sängerin nicht die ungeteilte Aufmerksamkeit.

Einige versuchen im vollen Stadion irgendwie Handyempfang zu bekommen und den Live-Ticker zu aktualisieren, andere drücken sich vor den gläsernen Türen der VIP-Lounge, in denen Flachbildschirme das Spiel übertragen, die Nase platt. Die Stimmung ist dem Spielstand geschuldet nicht so gut, wie Helene sie permanent propagiert. Bis plötzlich mitten im Duett mit Ben Zucker ein losgelöster Jubel in einigen Ecken das Stadions ertönt. 2:1 in letzter Minute. „Unsere Helene“ schaut kurz irritiert, verkündet den Spielstand aber erst eine halbe Stunde später. Die Welt da draußen sollte in die Show der Happiness eigentlich nicht vordringen.

Eine „Überdosis Glück“ hat Helene ihren Fans versprochen. „In Zeiten wie diesen will ich euch alle glücklich machen“, sagt sie, ohne zu erklären, was in Zeiten wie diesen das Problem ist. Nur: „Jeder hat sein Päckchen zu tragen.“ Aber nicht hier und heute, da haben alle ihr Päckchen bei der Einlasskontrolle abgegeben. Über zwei Stunden gibt’s Helenes heile Welt für alle. Sie singt über Freundschaft, Liebe und die Schönheit des Lebens.

Auch diejenigen, die noch nie ein Helene-Fischer-Album gehört haben, kriegen Hits um die Ohren geschleudert. Sie covert „Verdammt ich lieb dich“ aus Frauensicht, spielt ein Medley aus 90er-Eurodance-Krachern wie „Rhythm Is A Dancer“ und „I Like To Move It“, singt mit Ben Zucker Westernhagens „Freiheit“ und lässt in „Herzbeben“ sogar kurz Deichkinds „Remmidemmi“ anklingen. Es ist für alle was dabei. Helene Fischer – ein Produkt für die ganze Nation. Entsprechend heterogen sind die Zuschauer. Familien mit Kindern sind gekommen, Rentner, junge und ältere Paare oder größere Freundescliquen. Ein Publikum wie früher bei „Wetten, dass …“.

Helene dreht eine Runde auf einem VW-Bus mit riesigen Luftballons. Singt „Mitten im Paradies“, während sie an einem Stand mit Erdbeerbowle vorbeigefahren wird. Doch irgendwann ist auch im Paradies mal Schluss – unvergängliche Nacht hin oder her. Helene erzählt zum Abschied, wie dieser Abend ihr Herz erfüllt hat. Spürst du das? „Ich hab’s im ganzen Körper gespürt, die ganze Zeit“, sagt Helene. Diejenigen, die es nicht gespürt haben, können zumindest ihren Bierbecher mit Helene am Strand drauf mit nach Hause nehmen.