„In Libyen nehmen sie dir sogar den Mut“

Träumt davon, Arzt zu werden: Muhammad aus Nigeria Fotos: Kenny Karpov/SOS Méditerranée

Ich heiße Muhammad*. Ich komme aus Nigeria, ich bin 18 Jahre alt. Als ich elf war, verlor ich meine Eltern bei einem Autounfall. Seitdem haben mich meine Großeltern großgezogen. Ohne Eltern in meinem Heimatland aufzuwachsen war für mich das Schwerste, bis ich nach Libyen kam. Ich sage das, weil Libyen kein Ort für lebende Menschen ist. Die nehmen dir alles weg und zerdrücken es, sogar deinen Mut. Libyen ist ein Ort der Gewalt, wo viele Menschen vergewaltigt und ermordet werden. Ich bin froh, dass ich keiner davon bin.

Als ich mich entschloss, vor dieser Gewalt zu fliehen, finanzierte ein Freund meiner Eltern meinen Weg an einen besseren Ort, auf einem Boot, das Libyen verließ. Es sollte uns nach Europa fahren, über das Mittelmeer. Irgendwann in der Nacht stieg einer der hellhäutigen Männer zu und sagte uns: „Steuert geradeaus!“ Er zeigte auf die Sterne und sagte „Folgt denen“ – er meinte: nach Norden. Wir mussten nach Norden, um zu landen. Man sagte uns, es würde drei bis vier Stunden dauern, um Europa zu erreichen. Ich war verängstigt, aber auch erleichtert, dass es so kurz bis zur Freiheit ist.

Wir waren 135 im Boot. Als wir abfuhren, war es ganz dunkel. Leider hatte niemand Schwimmwesten. Die wollten dafür viel Geld, keiner von uns hatte genug. Wir verbrachten fast 24 Stunden auf dem Meer. Wir fuhren am Freitag um 21 Uhr ab und wir wurden am Samstag um 21 Uhr gerettet. Bevor wir gerettet wurden, war unser Boot fast halbvoll mit Wasser, ich und die anderen hatten solche Angst. Wir fielen ins Meer, es war kalt und dunkel, ich fand mich ganz nackt im Meer wieder, Leute zerrten an mir, an meiner Kleidung, an allem, was sie greifen konnten, um am Leben zu bleiben. Ich kämpfte sehr hart, um an die Schwimmwesten zu kommen, die ihr uns zugeworfen habt. Nach einer Weile bekam ich eine und rief um Hilfe! Ich konnte gerettet und medizinisch versorgt werden.

Die hier abgedruckten Protokolle haben MitarbeiterInnen der spendenbasierten Seenotrettungsorganisation SOS Méditerranée während der Fahrt des Rettungsschiffes „Aquarius“ vom Zentralen Mittelmeer nach Valencia aufgezeichnet, wo die geretteten Flüchtlinge an Land gehen durften. Italien und Malta hatten die Aufnahme verweigert.

Jetzt geht es mir gut, und ich fange wieder an, an meinen Traum zu glauben: Arzt zu werden, um meinem Land zu helfen, denn in Afrika leiden viele Menschen, ich möchte Leben retten und ich möchte, dass mein Land stolz auf mich ist. Auf der „Aquarius“ konnte ich sehen, was Leben retten heißt. Das weiß ich jetzt, das wird immer mein Traum sein.* Name geändert

„Ich dachte, mein Leben ist vorbei“

Ging bei der Überfahrt über Bord: Michael aus Nigeria

Mein Name ist Michael*, aus Nigeria. Ich bin 18 Jahre alt. Worüber ich eigentlich reden will, ist Libyen. Libyen ist nicht wirklich ein guter Ort, es ist ein ganz fürchterlicher Ort, wenn du schwarz bist. Sie verkaufen Menschen für Geld und für Geschäfte. Sie geben dir Geld und dann verprügeln sie dich für das Geld. Ich möchte wirklich bitten: Ich will nicht nach Libyen zurück. Wenn es jemanden gibt, der uns jetzt helfen kann, müssen sie uns wirklich helfen. Wir wollen nicht nach Libyen zurück.

Als ich euer orangefarbenes Boot sah, dachte ich, Gott hat mich und die Leute wirklich gerettet. Denn bevor ich euer Boot sah, verbrachten wir zwölf Stunden auf dem Meer. Wir dachten nicht, dass man uns retten würde. Es war wirklich Gott, der uns gerettet hat. Als ich ins Wasser fiel, dachte ich, mein Leben ist vorbei, alles war für mich vorbei. Ich dachte nie, dass ich die Gelegenheit haben würde, hier mit euch zu sprechen. Ich hatte Angst. Nie hatte ich so ein Meer gesehen. Ich hatte keine Schwimmweste, nur meine Kleidung. Dann haben zwei von euch mich aus dem Wasser geholt. Deswegen bin ich jetzt hier. Alles ging so schnell, so plötzlich. Ich war unter dem Wasser mit nichts. Ich habe eine kleine Wunde von der Rettung, eine Treibstoffverbrennung am rechten Bein. Es tut noch weh.

Bevor ich mein Land verließ, arbeitete ich als Maler, ich strich Häuser an. Diese Arbeit möchte ich machen, wenn ich nach Europa komme. Ich kann alles machen.

* Name geändert

„Mir war klar, wie riskant diese Fahrt ist“

Wurde in Libyen verkauft und geschlagen: Ahmed aus Sudan

Ich bin Ahmed*, 20, aus Sudan. Ich wurde mit einer Eisenstange geschlagen und dann mit Gummiknüppeln, während die Männer mich filmten und auslachten. Sie filmten mich, um meine Familie zu Hause zu erpressen, für Geld gegen meine Freiheit. Sie schickten andauernd Videos und Bilder von mir, wie ich geschlagen werde und wie sie immer mehr Geld verlangen.

Das geschah alles in einem Haus in Sebha in Libyen vor fast einem Jahr. Meine Reise begann in al-Katrun. Ich ging dort zum Arbeiten hin, aber als ich ankam, wurde ich von hellhäutigen Männern an andere versteigert. Ich wurde für 1.000 libysche Dinar verkauft. Der Mann, der mich kaufte, schlug mich weiter, jeden Tag. Kaum Essen, nur Salzwasser und Kekse. Die warf er mir zu und ich aß sie vom Boden wie ein Tier. Ich hatte nur nach Essen gefragt. Egal was man fragte, ich wurde geschlagen. Gefängnis wäre besser gewesen als das Haus dieses Mannes. Es war ein Loch. Ich habe dort so gelitten.

Einmal sah ich einen Mann, einen Freund meines Besitzers, er war betrunken. Er kam zum Haus und nahm ein paar andere Schwarze zu seinem Lastwagen mit und erschoss sie. Als sie tot waren, mussten ich und ein Freund die Leichen aufheben und begraben. Ich musste dort bleiben, bis ich meine Weiterfahrt bezahlen konnte. Schließlich schaffte ich es ans Meer, nach sechs Monaten mit diesem schrecklichen Mann.

Mir war klar, wie riskant diese Fahrt wird. Aber ich wusste nicht, dass es drei, vier Tage nach Italien dauern würde. Man sagte uns, es sind ein paar Stunden bis zur Freiheit. Ich hatte keine Ahnung, dass die Überfahrt so weit ist. Ich dachte, die wird klein, man steigt auf ein Boot und nach ein paar Stunden sieht man Land.

* Name geändert