Absurder Meister

In Kiel sind künstlerische Buchausgaben des lange verdrängten Daniil Charms zu sehen

Von Alexander Diehl

Da ging einmal ein Mensch ins Büro und traf unterwegs einen anderen Menschen, der soeben eine Weißbrotstange gekauft hatte und sich auf dem Heimweg befand. Das ist eigentlich alles. (Daniil Charms: „Begegnung“, 1939)

Ein „Unordentliches Leben“ habe er geführt, dieser Daniil Charms, das sagte sein Übersetzer Alexander Nitzberg mal der taz: „Letzten Endes muss man ihn wahrnehmen in all seiner Kompliziertheit und all diesen Facetten.“ 1905 in St. Petersburg geboren, war Charms Hilfsmonteur und Elektrotechniker, gründete Dichterkreise, die sich wieder auflösten. Gedichte schrieb er und Theaterstücke und immer wieder Miniaturen, die auf die Rückseite eines Kassenzettels passen – gern von umso größerer Absurdheit.

Spätestens den stalinistischen Behörden war so einer ein Ärgernis: Charms wurde denunziert, angeklagt, zu Lagerhaft verurteilt, 1939 kam er gar in eine Nervenheilanstalt. In der psychiatrischen Abteilung eines Leningrader Gefängnisses verendete er dann während der Blockade der Stadt durch die Wehrmacht.

Jahrzehntelang durfte er nur als Kinderbuchautor erinnert werden – bis zur Perestrojka. Seitdem besann sich auch eine junge, postsowjetische Künster*innengeneration auf ihn. Alte und neue künstlerische Buchausgaben stellt nach der in Hamburg nun die Kieler Unibibliothek aus, gesammelt von den Niederländern Albert Lemmens und Serge Stiommells – ein guter Einstieg in Charms’Welt.

„Begegnungen mit Daniil Charms“: bis 22. September; Eröffnung: Do, 5. Juli, 19 Uhr, Kiel, Unibibliothek