Landunter auf den Halligen

Die Umweltstiftung WWF möchte mehr Hochwasser auf den Halligen an der Nordseeküste Schleswig-Holsteins ermöglichen. Ökologisch sei das sinnvoll. Der Schutz der Bewohner vor Sturmfluten indes erfordert millionenschwere Aufschüttungen der Warften

Landunter auf der Hallig Langeneß: Was gefährlich aussieht, ist gut für die Salzwiesen und die Sedimentaufspülung Maja Hitij/dp Foto: Foto:

Von Sven-Michael Veit

Auf den ersten Blick scheint die Argumentation widersprüchlich. Die Halligen an der Nordseeküste sollten im Zuge des Klimawandels wieder mehr und häufiger überflutet werden, sagt Jannes Fröhlich von der Hamburger Umweltstiftung WWF: „Und zwar gerade weil der Meeresspiegel steigt.“ Denn nur durch Überflutungen könnten sie in die Höhe wachsen und salzig bleiben. Auf den großen Halligen Hooge und Langeneß mit ihren hohen Sommerdeichen seien die Salzwiesen bereits heute stark ausgesüßt und lägen zu niedrig, sagt der WWF-Experte für Wattenmeerschutz.

Fröhlich ist Mitautor einer Studie, die Experten für das Wattenmeerbüro des WWF in Husum erarbeitet haben. „Die Ufer der Halligen müssen auch zukünftig gegen den Abbruch geschützt werden, den Wellen und Strömung verursachen“, heißt es zwar in dieser Untersuchung. Doch würden sie seltener als bisher überflutet, würden die chrakteristischen und ökologisch bedeutsamen Salzwiesen immer süßer werden.

Außerdem würde weniger Schlick und Sand auf die Halligen gespült. In der Konsequenz würden die Halligen deutlich langsamer wachsen als der Meeresspiegel ansteigt und somit durch den Klimawandel noch gefährdeter sein als ohnehin schon. Um dem entgegenzuwirken, empfiehlt die Studie, die Halligen mit dem ansteigenden Meeresspiegel wachsen zu lassen. Die leichten Sommerdeiche auf den größeren Halligen Hooge und Langeneß seien so umzugestalten, dass es häufiger zu Überflutungen kommt, bei denen Sedimente aufgespült werden.

„Es geht um den Tellereffekt“, sagt Detlef Hansen, Leiter des Nationalparkamts Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer in Tönning. Gerade weil die Halligen langsamer wachsen, würde die Diskrepanz zum Meeresspiegel immer größer. Die Aufgabe bestehe darin, „diesen ökologisch einzigartigen Lebensraum“ zu erhalten, ohne die Nutzung durch die BewohnerInnen einzuschränken. „Das ist die Herausforderung schlechthin“, bestätigt Johannes Oelerich, Direktor des Landesbetriebs für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz (LKN).

Der aktuelle Halligschutzbericht des Landes geht davon aus, das Wachstum der Halligen zu gewährleisten und die Warften zu verstärken. Letzteres soll in vier Pilotprojekten geübt werden für die 30 Millionen Euro bereitstehen. Zunächst soll auf der Warft Treuberg auf der Hallig Langeneß das baufällige Gebäude abgerissen, der Erdhügel von 4,30 Meter auf 7,00 Meter erhöht und anschließend wieder bebaut werden. Daraus erhofft sich das LKN Erkenntnisse für die anderen Halligen. Denn Warften, die zum Teil mit einem Dutzend Gebäuden bebaut sind, lassen sich nicht einfach aufschütten.

Oelerich denkt denn auch eher an „eine geringfügige Erhöhung“, vielleicht Deiche an den Rändern der Warften und einen flacheren Neigungswinkel der Aufschüttungen. Weitere Pilotprojekte auf den Halligen Hooge, Gröde und Nordstrandischmoor sollen folgen, „dann wissen wir besser, was geht“, sagt Oelerich.

Den BewohnerInnen der Halligen beschert jedes Landunter Mühe und Gefahr. Sie müssen Kühe, Schafe und Pferde in die Ställe auf den Warften bringen, Strandkörbe und Toilettenwagen sichern und verlieren bei sommerlichen Hochwassern das Heu. Das alles ist auch Fröhlich vom WWF bekannt. Aber er weist darauf hin, dass die Salz­wiesen die Brutgebiete von mindestens 60.000 Austernfischern und Küstenseeschwalben sind sowie Raststätte für Hunderttausende von Zugvögeln. Allein auf der Hallig Norderoog brüten etwa 3.000 Paare Brandseeschwalben – rund 70 Prozent des deutschen Bestandes.

Sturmfluten an der Nordsee sind besonders prekär für die nordfriesischen Halligen, die nur mit leichten Sommerdeichen geschützt sind. Schon ein leichtes Hochwasser von etwa 1,50 Meter über dem mittleren Tidehochwasser (THW) führt zu Landunter: Dann schauen nur noch die Warften mit den Häusern aus der Nordsee heraus.

Das tägliche Hochwasser an der Nordsee fällt von Ort zu Ort verschieden aus. Auf Norderney liegt das Mittlere Tidehochwasser (MHW) bei 2,36 Meter über dem Pegelnullpunkt (PHP, früher auch Normalnull (NN) genannt), auf Helgoland bei 3,79 Meter, auf Hallig Hooge bei 4,19 Meter.

Als Sturmflut gilt ein Wasserstand von 1,50 Meter über THW, das wären auf Hooge 5,69 Meter über PHP. Bei 2,5 bis 3,5 Meter über PHP spricht man von einer schweren Sturmflut.

Eine Erhöhung der Deiche und Warften befürwortete auch Insa Meinke vom Institut für Küstenforschung am Helmholtz-Zentrum Geesthacht bereits vor zwei Jahren auf der Halligkonferenz auf Nordstrandischmoor und mahnte, „über alternative Strategien nachzudenken“. Das aber sei wohl „eine politische Frage“.

Auf lange Sicht sei nicht auszuschließen, „dass wir auch Gebiete zurücklassen müssen“, konkretisierte der Potsdamer Klimaforscher Anders Levermann. „Die Meeresspiegelzahlen sind beunruhigend.“ Um mindestens 26 Zentimeter, im ungünstigsten Fall um 82 Zentimeter würden die Pegel an Nord- und Ostsee bis zum Ende des Jahrhunderts sich erhöhen, hatte der Weltklimarat 2013 in seinem Bericht vorgerechnet. Der Kieler Klimaforscher Mojib Latif hält das für zu optimistisch. Er geht von einem Anstieg von einem Meter aus.

Ob die Inseln und Halligen aber zurück gelassen werden, ist noch längst nicht entschieden. „Sie sind Bollwerke vor dem Festland und elementar für den Küstenschutz“, verteidigt Oelerich die Wellenbrecher. Zwar müsse die Erosion der Halligränder gestoppt werden, sagt er, aber dafür gebe es Mittel und Wege: „Vor allem aber dürfen wir nichts dramatisieren.“