berliner szenen
: Motorroller nach Mitternacht

Auf dem Heimweg ist es so spät, dass sogar die Spätis schon geschlossen sind. In der engen Seitenstraße der Sonnenallee stellt sich mir eine Frau in den Weg. Sie ist wahrscheinlich über 60, trägt eine rote Lederjacke, ein Barett, um den Hals ein Fahrradschloss. Punkstil anno 1979. Sie fragt, ob ich ihr kurz helfen kann.

Sie wirkt etwas derangiert, aber sie hat einen Plan: Ein Motorroller am Straßenrand muss auf etwas gehievt werden, das wie so ein Einkaufswagen aus dem Baumarkt aussieht, und ich soll helfen. Wie sie den Wagen gefunden hat – keine Ahnung. Aber ob der Roller ihr gehört, würde ich schon gern wissen.

Ich frage mehrmals nach, aber sie hat nur ihr Ziel im Auge: „Det Ding muss da rüber. Benzin is alle. Da drüber vor die Einfahrt.“ Ich beschließe, dass der Apparat irgendwie ihr Eigentum ist, und versuche das Ding auf den Wagen zu hieven. Es ist höllisch schwer.

„Da musste schon mitmachen“, sage ich, und gleich greift sie unter den Lenker, hebt mit, und das Teil rutscht langsam, aber sicher auf den Wagen. Sie redet abgehackt. „So.“ – „Jetzt.“ – „Heben.“ „Bisschen weiter.“ – „Ja.“ – „Geht jetzt.“

Die Route ist auch schon ausbaldowert. Wir schieben die Last 50 Meter den gepflasterten Bürgersteig bis zur nächsten Lücke zwischen Autos, senken sie auf die ebenfalls gepflasterte Straße hin­ab, rollen hundert Meter zurück, schieben sie durch eine weitere Parklücke durch und platzieren das Mofa fast gegenüber von der Stelle, wo es ursprünglich gestanden hat. Sie redet dem Moped in der Zwischenzeit gut zu: „Gleich sin wer da, mein Dicker.“

Schließlich findet die Maschine ihren Ruheort zwischen einem Stromkasten und einem Sperrmüllhaufen. „Darf ich dich auf ein Bier einladen“, werde ich gefragt. So weit reicht die Liebe dann aber doch nicht.

Tilman Baumgärtel