DJ Super Leiwand ist eine Legende: Sein Körper war Musik

Der Produzent und DJ DSL hat einen WM-Spielplan designt. Kolleginnen und Weggefährten erzählen von der Auflegekunst des Künstler-Phänomens.

Ein Mann mit hippem Oberlippenbart posiert mit der Kapuze seines schwarzen Sweaters

Mann oder Phänomen? Foto: Christian Fischer

Der Wiener Produzent und Grafiker Stefan Biedermann alias DJ Super Leiwand oder auch Danube Super Leiwand, kurz DSL, ist ein Phänomen. Er war österreichischer Mix-Champion, mit Scratch-Gastauftritten in den Charts bei Falco und stilbildender Radio-DJ bei der Sendung „Dope Beats and Tribe ­Vibes“ im ORF. DSL gibt selten Interviews und seine Diskografie ist übersichtlich: ein Album, einige Singles und Remixe, deren hohe Qualität anhaltend große Nachfrage auslöste, – leider vergeblich.

So sind es vor allem seine Engagements in den Clubs, die die Legende von DSL fortgeschrieben haben. DJs mit einem Repertoire aus HipHop, Reggae und Rare Groove gibt es viele, aber der Flow von DJ DSL ist und bleibt stilprägend. Inzwischen ist DSL auch als Grafiker renommiert. Aus Anlass der Veröffentlichung des von ihm designten aktuellen WM-Spielplans haben wir einige Freundinnen, Weggefährten und Bewunderer gebeten, das Wesen von DJ DSL in Worte zu fassen.

Gespür für Timing

„Kennengelernt habe ich Stefan 1988 beim ,New Music Seminar' in New York. Er hatte mit Dr. Moreau’s Creatures zusammen mit Peter Kruder, Sugar B, Rodney Hunter und Oliver Kartak dort einen Auftritt. Dr. Moreau’s Creatures war eine frühe Wiener HipHop-Crew, die hatten damals einen Hit und sie wurde eingeladen, diesen in New York zu spielen. DJ DSL war damals 18, ich Mitte 20. Er hatte Mitte der Achtziger schon bei DJ-Battles aufgelegt. Die fanden in Wien in Großraumdiskotheken statt. Ich mochte seine unglaublich präzise Art beim DJing. Er hat Turntablism als einer der ersten in Wien verstanden. HipHop wurde, wenn überhaupt, damals höchstens auf LPs wahrgenommen, Stefan mischte mit Maxisingles. Das war rebellisch. Er hat HipHop als Kunstform verstanden, die Instrumentals geliebt, fast mehr als die Vocal-Tracks. Ich bekam dann von Werner Geyer ein wöchentliches 15-Minuten-Fenster für HipHop in der „Musicbox“ beim ORF-Radio und fragte Stefan, ob er die Mixes machen will. Das war Beginn von „Dope Beats and Tribe Vibes“, einer HipHop-Sendung, die es immer noch gibt. Stefan hat eine sehr musikalische Ader. Sein Gespür für Timing ist grandios. Der Vater war Orchestermusiker und von dem hat er ein gutes Gehör geerbt. Er ist jetzt Grafiker und lebt – frisch verheiratet – wieder in Wien. Die Club- und Musikszene in Wien hat keiner so geprägt wie er. Den Funk hat er in unsere Sendung gebracht.“

Katharina Weingartner, Autorin und Filmemacherin, Wien

Kollektive Doubles-Ekstase

„Anfang der Neunziger teilten DSL und ich uns den Freitag in dem kleinen, aber immer vollen Wiener Roxy-Club. Einen Freitag er, den nächsten ich. Arbeitszeit für uns DJs war von 22 Uhr bis 6 Uhr früh. Wenn es voll war, ging es auch bis mittags. DSL besuchte mich an seinen arbeitsfreien Freitagen regelmäßig, nachdem der letzte Tropfen in den Bars der Nachbarschaft geflossen war, kam er beschwingt hinter das DJ-Pult und fragte mich, was ich im Moment an neuen Doubles (Dubletten) habe. Im HipHop steigert der versierte DJ die Dramaturgie, indem er mit zwei Kopien derselben Platte – eine Instrumental-Version, eine Vocal-Version – den Track mit der Technik von Scratching in kleinste Einzelteile zerlegt und damit die Crowd auf dem Dancefloor zur kollektiven Ekstase bringt. DSL konnte man mit zwei Platten so lange alleine lassen, dass sich ein Frühstück locker ausging und ich mir dann nach einer Stunde die völlig durchgedrehte Crowd wieder abholen musste. Dass er die ganze Zeit denselben Song spielte, checkte keiner.“

Peter Kruder, DJ und Produzent G-Stone Recordings, Wien

Schlaksige Körperlichkeit

„Bevor DSL in den Neunzigern im Hamburger Golden Pudel Club aufzulegen begann, gab es dort bereits zwei Plattenspieler, der zweite wurde aber nie benutzt. DSL war der Erste, den ich dort an zwei Plattenspielern so virtuos habe hantieren hören, dass ich schier gebannt war. Damals waren tatsächlich schon renommierte DJs im Pudel zu Gast oder legten regelmäßig auf, jedoch gefühlt angeknüpft am vermeintlichen – ich sags ungern – Trash-Pudel-Style. DJ DSL kam dann und scratchte Soulplatten, oder war es HipHop? Was waren das für Beats! Für ihn selbstverständlich und extrem locker: das Doppeln und die Arbeit mit der Endlosrille – ein einfacher Trick, wir Hamburger kamen aus dem Staunen nicht heraus. Zauberei! Leiwand! Dazu die Optik: Schlaksige Körperlichkeit aus Mensch und Turntables, Beine, Arme, Schallplatten, Hände und Regler, alles durcheinandergewirbelt und dabei Musik herstellend, dann auf direktem Weg zurück damit in diesen langen Körper. Whoosh! Bald hatte ich diverse Gelegenheiten, höchstselbst mit ihm und seinem musikalischen Body aufzulegen. Ich hatte die Deckel der Plattenspieler nicht beiseite gelegt, sondern sie als Schutz vor Blicken extra hochgeklappt, um mich dahinter zu verbarrikadieren. DSL: Bitte übernehmen Sie!“

Myriam Brüger, djmelanie, Berlin

Der Signatur-Trick
Draufsicht auf ein computeranimiertes Spielfeld in einem Stadion, das zugleich als Spielplan dient

Foto: Hanseplatte

„Kaum volljährig und frisch nach Bayern gezogen, war die ab 1990 im ORF ausgestrahlte Radiosendung „Dope Beats and Tribe Vibes“ Auftakt und Höhepunkt meines Ausgehwochenendes. Man konnte sie in Bayern empfangen. Oft hörte ich sie auf der Fahrt in den Club und verharrte bis zum letzten Ton im Autositz. Der redaktionelle Teil von Katharina Weingartner beleuchtete mittels Interviews und Reportagen direkt aus den USA zunächst die aktuellen, damals rasanten Neuerungen im HipHop und ordnete diese auch kulturell und soziopolitisch ein, bevor zum Finale DSL, damals im deutschsprachigen Radio wohl einzigartig, einen durchgehenden Mix spielte. Moderationsinhalt und der sehr eigene Duktus zwischen Slang und Feuilleton prägten mir ein, dass die unterschiedlichen Lebensumstände Fans wie mir das direkte Kopieren der US-Vorbilder verbieten. DJ DSL unterstrich diesen Eindruck akustisch mit einem damals schon eigenen Stil und seinem Signatur-Trick, dasselbe Stück auf beiden Plattenspielern minimal zeitversetzt zu spielen und so einen verwaschenen Flanger-Effekt zu simulieren. Als ich DSL dann später an unserem mittlerweile gemeinsamen Wohnort Hamburg kennenlernen und live hören konnte, verstand ich auch, wie persönlich sein Stil und wie musikalisch sein Leben ist; im Umgang eher bescheiden und etwas introvertiert, aber mit einem feinen, trockenen Schmäh und unbändigem Enthusiasmus ausgestattet, ist Stefan kein DJ, der mit seinen meisterlichen, technischen Fähigkeiten eitel protzend Musikstücke zerschreddert oder das Publikum mit schalem Hit-Potpourri ködert. Sondern er zieht einen mit seiner originellen Auswahl und weichen, fließenden Übergängen in die Strömung. Ebenso individuell vermengt er HipHop-Kultur mit seiner anderen Leidenschaft, dem Fußball: Angefangen mit seiner Ode an Toni Polster, später als Präsident unseres vielköpfigen, regelmäßig im Vereinsheim spielenden DJ-Kollektivs St. Pauli Sound ­Supporters, für das er auch alle Flyer gestaltete und dessen Banner der Steh-Fan auch bei jedem Spiel prominent in der Kurve platzierte, bis jetzt zu den einzigartigen, zunächst aus Spaß für das gemeinsame Schauen in relativ kleiner Freundesrunde entworfenen Turnierplänen. Kurzum: super-leiwand DJ, ur-ur-leiwand als Typ.“

Constantin Groll, Word & Sound Vertrieb, Hamburg

Notfallsanitäter mit Groove

„Vor 30 Jahren standen wir hinter dem DJ-Pult der Disco im Wiener Volksgarten, tranken, rauchten und lauschten der Musik, als ich ohnmächtig wurde, unvermittelt zu Boden ging und auf dem besten Wege war, mit dem Hinterkopf volle Kanne an der Thekenkante anzuschlagen. Glücklicherweise war Stefan geistesgegenwärtig, wie sonst auch, fing mich auf – man könnte auch sagen, ich sank in seine Arme – und rettete mich. Das hinterließ einen bleibenden Eindruck. Abgesehen davon hat er mich musikalisch beeinflusst, brachte mir die Instrumentals auf HipHop-Maxis näher, deren reduzierte Beats und Grooves waren fortan mein Ding. Und den New Yorker Produzent Mark The 45 King hätte ich ohne ihn nie entdeckt. DSL ist sehr groß, sehr verschmitzt, sehr begabt. Ich muss ihn unbedingt wieder mal auflegen hören!“

DJ Electric Indigo, Berlin

Scratchen mit Stullen im Sitzen

„DSL ist der DJ, der mir die schönsten Party-Nächte geschenkt hat. Er hat die seltene Gabe, Menschen mit Musik überglücklich zu machen – wie oft bin ich selig im ersten Morgenlicht nach Hause gewankt! Zum ersten Mal erlebt habe ich DSL in Hamburg Ende der Achtziger auf einem Open-Air-Soundclash an der Elbe – damals noch mit seinem Kollegen Sugar B. Ich erinnere mich, dass wir da schon alle unseren Augen nicht trauten über diesen langen Lulatsch an den Plattentellern. Später im Pudel hat Stefan meist im Sitzen aufgelegt, weil er sonst mit dem Kopf durch die Decke gegangen wäre, und im Laufe der Nacht dann seine mitgebrachten Stullen ausgepackt.“

Marga Glanz, Inhaberin Groove City Records, Hamburg

Abgeschnackt und stibitzt

„Von keinem anderen Künstler sind mir im Lauf der Zeit so viele Platten abhanden gekommen, abgeschnackt oder stibitzt worden wie von Wiens allerfeinstem DJ DSL. Dies beweist zweierlei: Zum einen die turmhohe Qualität seiner Produktionen, die rechtschaffene Tänzer zu spontanen, aber irgendwo auch ehrenhaften Ganoven werden lässt, sobald der DJ nicht aufpasst: Zum anderen die latenten Beschaffungsschwierigkeiten, die mit seinen Platten stets verbunden waren. DSL-Vinyl war schwer zu kriegen, kleine Auflagen auf Obskuro-Labels, echte, wirkmächtige Fetische eben, denen ich immer noch nachflenne. Immerhin habe ich noch das von DSL designte Sankt-Pauli-Sound-Supporters-T-Shirt.“

DJ Hans Nieswandt, Köln

Weltmeister und Pionier

„Ich hatte gerade meine Teenagerzeit als Mod und Atrium-DJ abgestreift und beim Wiener Plattenladen Dum Dum Records aufregendes Neues entdeckt, da hörte ich von den Brüdern Biedermann: Stefan wurde zweimal in Folge DMC-Weltmeister, damit war die Legende geboren. Danke, lieber DSL, für deine Pionierarbeit!“

Erdem Tunakan, Produzent Cheap Records, Wien

Haarsträhne und Profimove

„Erstmals wahrgenommen habe ich Stefan, als er an einem Flipper im U4 Club in Wien stand. Er trug damals eine unglaublich stylische Haarsträhne, die aus einem keck in den Nacken geschobenen Basecap hervorquoll. Mir wurde er als der beste DJ Wiens vorgestellt. Was mir sofort auffiel, war ein Move, den er mit seiner Hand machte, während er den Flipper bearbeitete. In regelmäßigen Abständen wische er seine Fingerspitzen an seinem Hemd ab! Profimove! Dass er das auch beim Scratchen machte, fiel mir erst später bei einem Auftritt mit den Moreau’s auf. Ich hab mir diesen Finger-Move dann selbst angewöhnt und mach ihn bis heute beim Auflegen!“

DJ Patrick Pulsinger, Wien

HipHop für Erwachsene

„What a Great Happiness, DSL hat es wieder getan und den ultimativen WM-Spielplan entworfen. Das ist wohl seine größte Tat nach dem Remix von „Happy Bear“ und seinem „Der Mond“-Remix für Rocko Schamoni. Stefan, wir vom Hund am Hafen vermissen dich und deinen HipHop für Erwachsene sehr, können aber deiner in Wien-lässt-sich-in-Schönheit-sterben-Sehnsucht keine Hamburgensie entgegensetzen, die dich zum Bleiben veranlasst hätte. Ohne Dein DJing ist HipHop nie wieder wie vorher; nicht so elegant und anmutig in seiner reinen Form.“

Ralf Köster, Golden-Pudel-Club-Mitbetreiber, Hamburg

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