Fürsorglich umkämpfter Kiez

Zwei Modelle wetteifern darum, Wohnungen im „Waldekiez“ mieterfreundlich zu privatisieren: Die Betroffeneninitiative will eine Stiftung, ein Unternehmensberater plant eine Genossenschaft

„Die Stiftung hat ihren Charme – aber Migranten wollen Eigentum erwerben“

VON RAFAEL BINKOWSKI

Kreuzberg, Adalbertstraße: Restaurierte Gründerzeitfassaden neben gesichtslosen Sechzigerjahremauern, türkische Läden, Kneipen, viele sozial schwache Mieter. Das Quartier rund um Adalbert- und Waldemarstraße war bis zum Jahr 2002 Sanierungsgebiet, 23 Häuser sind immer noch in öffentlicher Hand. Dass dieser Bestand laut Sanierungsvertrag privatisiert werden muss, ist schon seit längerem bekannt, Streit gibt es um das Wie. Inzwischen konkurrieren zwei Modelle miteinander, die den Immobilienbestand dem freien Markt entziehen wollen: eine Stiftung und eine Genossenschaft.

Schon seit dem Jahr 2000 wirbt die Anwohnerinitiative Waldekiez darum, die 23 Gebäude in eine Stiftung zu überführen, in der die Mieter Mitglied werden. „Wir hoffen auf Hilfe vom Land“, erklärt Manfred Gliewe von der Betroffenengemeinschaft. Der Verkehrswert von rund 11 Millionen Euro soll zur Hälfte gestundet und erst später abbezahlt werden.

Ziel der Waldekiez-Gemeinschaft: Die Häuser sollen nicht auf dem Immobilienmarkt gehandelt werden. Die Mieten blieben dadurch stabil, glaubt Manfred Gliewe. Er geht von etwa 2,30 Euro je Quadratmeter aus. Eigentümer der Häuser sind zurzeit die landeseigene Wohn- und Geschäftshaus GmbH (Bewoge), das Land und der Bund.

Das andere Modell vertritt der Unternehmensberater Thomas Bestgen. Er will drei der 23 Häuser herausgreifen, die bereits in den 90er-Jahren saniert wurden: die Adalbertstraße 80 und 81 sowie die Waldemarstraße 44. „Hier leben vorwiegend türkische Familien“, erklärt Bestgen, „hier funktionieren die Strukturen noch.“ Das sei ideal für eine Hausgemeinschaft, die in einer Genossenschaft zusammengeführt würde.

Bestgen schwebt ein gemeinsamer Innenhof vor, sanierte Wohnungen, Balkone und ein Anschluss der drei Häuser an die schon bestehende Wohnungsgenossenschaft Am Ostseeplatz. Die habe durch Fördermittel des Landes finanziellen Spielraum – und Bestgen managt sie bereits. „Das Besondere ist es, zum ersten Mal Migranten für diese Form des Wohnens zu interessieren“, erklärt Thomas Bestgen. Das habe es noch nie gegeben und sei eine große Chance.

Weil Migranten eine neue Zielgruppe für genossenschaftliches Wohnen darstellen, wird das Projekt auch vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung wissenschaftlich begleitet. Bei einer großen Informationstour wurden vorwiegend türkischstämmige Bewohner der drei Häuser zu funktionierenden Genossenschaftshäusern wie in der Fidicinstraße oder am Ostseeplatz geführt. Die Mieten lägen in Bestgens Modell bei etwa 4,20 Euro pro Quadratmeter – „mit der Option, dass sie in 15 bis 20 Jahren sinken, wenn die Kredite abbezahlt sind“.

Die Waldekiez-Gemeinschaft kritisiert diese Pläne. „Hier werden nur die Sahnestücke herausgegriffen“, meint Michael Gliewe, „es geht aber um alle 23 Häuser.“ Zudem kritisiert er die „eigentumsorientierte Form“ der Genossenschaft. In der Tat sieht Bestgens Modell vor, dass die Wohnungen von den Mietern gekauft werden können, wenn eine Mehrheit in der Genossenschaft dem zustimmt. Alle Mieter haben allerdings ein lebenslanges und vererbbares Wohnrecht.

Der Senat und der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg haben sich noch nicht entschieden, welches Modell den Zuschlag erhalten soll. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung prüft zunächst, ob das Stiftungsmodell der Waldekiezer überhaupt rechtlich möglich wäre.

Franz Schulz, grüner Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, will sich nicht auf ein Modell festlegen: „Die Stiftung hat ihren Charme, aber Migranten sind daran interessiert, Eigentum zu erwerben, für die Eltern oder die Kinder.“ Daher biete Bestgens Modell eine Chance, das Thema bei türkischen Mitbürgern positiv zu besetzen.

Wie geht es weiter? In den nächsten Wochen wird Thomas Bestgen den Bericht über seine Mieter-Informationstouren vorlegen, danach wird der Senat beide Modelle durchrechnen. Wie es ausgeht, ist noch völlig offen. Die Waldekiez-Betroffenengemeinschaft befürchtet jedoch, dass die Bewoge durch Thomas Bestgen bereits Fakten schafft: „Bestgen wirbt natürlich für sein Modell. Und er setzt den Mietern die Pistole auf die Brust, Genossenschaftler zu werden.“