Im Basislager der Literatur

Das Magazin „Gold“ schreibt über unbeachtete Salon- und Wohnzimmerpoeten. Herausgegeben wird es von Studierenden der Literaturwissenschaft. Doch der Schritt aus der Nische scheint geschafft: „Gold“ gehört zu den Medienpartnern des Literaturfestivals, das kommende Woche beginnt

VON KATHRIN SCHRADER

Die großen Feuilletons schreiben nicht über Ron Winkler. „Jemand muss aber über ihn schreiben“, sagt Hannes, Germanistikstudent im zweiten Studienjahr und Redakteur des GOLDliteraturmagazins. „Winkler, ein Berliner Lyriker, der schon mehrere Bücher veröffentlicht hat, findet in seinen Gedichten diese gestochen scharfen Bilder“, sagt Hannes. „Und er hat diesen feinen Witz.“

Als Hannes in einem Seminar erfuhr, dass zwei Studenten der Literaturwissenschaft an der Freien Universität (FU) eine neue Literaturzeitschrift für Berlin und Potsdam gründen wollten und noch Redakteure suchten, war er sofort dabei. Das GOLDliteraturmagazin entstand aus der Notwendigkeit, über die unbeachteten Poeten zu schreiben, über das Basislager der Literatur, die Salon- und Wohnzimmerlesungen, die Menschen in Berlin, die gute Bücher ohne großes Werbebudget produzieren, verlegen und verkaufen. „Über die Literatur, die uns bewegt“, fasst es Hannes zusammen. „Die konservativen Feuilletons tun ja so, als könnte heute keine gute Literatur mehr entstehen. Das erleben wir anders.“

Inzwischen gehören der Redaktion 20 bis 30 Studenten an, zwei Ausgaben des Magazins haben sie bisher herausgebracht. Auflage: 2.000. Kostenlos wurden sie verteilt, vor allem in Bibliotheken. Ein kleiner Tropfen, der in der Literaturszene Berlins leise zischt. Ein kleiner aromatischer Tropfen, ein gewitzter Blick auf Sprache und Bücher und die, die sie machen.

Im letzten freien Laden des Galerieverbunds „Kolonie Wedding“ rund um die Koloniestraße installierte die Redaktion ihr Büro. Hier finden auch die monatlichen Lesungen – eine Art der Talentsuche und -vorstellung – mit anschließender Party statt. Über das Printprodukt hinaus veröffentlichen die GOLD-Herausgeber auf ihrer Website www.goldmag.de einen kompletten literarischen Veranstaltungskalender für Berlin und Potsdam.

Doch die Magazin-Macher wollen höher hinaus: Ihr goldenes Logo steht in der Reihe der Medienpartner des Internationalen Literaturfestivals Berlin, das am 6. September beginnt (siehe Kasten). Sie werden mit ihrem Heft vor Ort sein. „Vielleicht findet GOLD dort neue Freunde und Sponsoren“, sagt Elena. „Wenn man bekannter wird, hat man eine andere Daseinsberechtigung.“

Geld ist Mangelware

Dabei ist es ein langer Kampf, ein Feilschen, bis das jeweils nächste Heft erscheinen kann – wie die Produktion der jüngsten Ausgabe zeigt. Vor einigen Wochen lag sie druckfertig auf der Festplatte. Nur: Allein mit der Aussicht auf baldigen Ruhm ist die Druckerei nicht zu beeindrucken. 1 Euro kostet es, ein GOLD-Heft zu drucken. Das damalige Dienstagabend-Plenum drehte sich deshalb ausschließlich um die Frage, woher das Geld für die Ausgabe kommen soll.

Zehn Redakteure haben sich im Laden in der Prinzenallee 34 versammelt. Auf dem Tisch liegen Salzstangen, Gummitiere, Pizzafragmente und Tabak. Geraucht wird erst später und nur draußen. Alle waren schon einmal losgezogen, auf der Suche nach Anzeigenkunden, durch kleine und große Läden und haben ihr Heft vorgestellt. „Sehen Sie das feste Papier, 90 Gramm schwer der Quadratmeter? Sehen Sie die vergoldeten Illustrationen, mal grün, mal rot legiert?“ – so warb man.

Der Zufall wollte, dass zur gleichen Zeit, vergangenes Jahr im Sommer, als die Idee für das Magazin entstand, an der FH Potsdam die Gestaltung eines Literaturmagazins ausgeschrieben wurde. Sie konnten unter den Entwürfen wählen und fanden einen, der mit ihrer Vorstellung von Poesie korrespondiert. Dabei blieb es: Bis jetzt wurde jedes Heft von einem Grafikstudenten der FH Potsdam illustriert.

Sie haben auch nach Sponsoren telefoniert, großen Unternehmen. Verschiedene Firmen, die irgendwas mit Gold machen. Die Biermarke Beck’s etwa mit ihrem Trendgetränk „Gold“, oder Haribo mit seinen Goldbären. Ohne Erfolg. „Literatur? Sie spinnen wohl!“, hat einer der PR-Leute gesagt und den Hörer aufgeknallt.

Es sind nicht allein die finanziellen Mittel für die aktuelle Ausgabe, die fehlen. „Wir bekommen noch Geld von den Anzeigenkunden der ersten beiden Ausgaben“, sagt Vanessa. Nur hat das Finanzamt noch immer keine Steuernummer geschickt. Sie können noch keine Rechnungen schreiben. „Wann verjährt eine Anzeige eigentlich?“, fragt sie. Das weiß niemand – auch wenn sich die Herausgeber allein ihres Magazins wegen in eine BWL-Vorlesung setzen, um etwas über Marketing zu lernen.

Gegen zehn Uhr ist das Plenum beendet. Die Redakteure diskutieren noch über diese und jene organisatorische Frage, um den Kauf eines Anrufbeantworters und die Modifikation ihrer E-Mail-Adressen. Die lästige Frage nach der Finanzierung wurde vertagt.

Drei Wochen später ist die Lage besser, aber bei weiten noch nicht im Sinne des Heftnamens: Der Soli-Preis für die Getränke während der Lesemarathon-Nacht im August hat ein paar hundert Euro eingespielt. Außerdem war die Abo-Aktion per E-Mail recht erfolgreich. Das Geld reicht gerade so. Gestern ist Ausgabe Nummer 3 – zum Thema „Stoff“ – in den Druck gegangen, ab kommender Woche ist das Heft erhältlich.

„Mann, wir waren so absorbiert von diesen organisatorischen Dingen. Man ist richtig älter geworden“, zieht Christian Bilanz. „Dabei brauchen wir auch Zeit, uns auf einer Meta-Ebene zu begegnen, um mal wieder darüber zu reden, was GOLD eigentlich ist.“ GOLD soll auch eine intellektuelle Spielwiese sein, ein Ort, an dem sie sich ausprobieren und reiben können, die labyrinthische Suche nach der eigenen Definition. „Die Frage, ob wir nicht zu nett sind, beispielsweise“, sagt Elena. Aber Elena hat Lust, nett zu sein. Sie möchte erst einmal über das Positive berichten. Da gibt es so viel. Und warum sollte sie kritisch sein, nur um kritisch zu sein. Nur weil jemand gesagt hat, dass gute Zeitungen immer auch kritisch sein müssten. Wer muss denn?

Kritisch oder nett?

Christian meint, dass die Kritik sich einstelle, wenn man sich für etwas entschieden habe, weil man dann automatisch gegen die Gefährdung dessen sei, wofür man sich entschieden habe.

Nicht zuletzt dient GOLD der beruflichen Verankerung der Mitarbeiter. Sie suchen und pflegen Kontakte zu den großen literarischen Institutionen Berlins, ebenso wie zu den kleinen Lesebühnen. „Nach dem Studium wird Flexibilität von uns verlangt“, sagt Hannes. „Dann wollen wir uns mit GOLD eine Wurzel in Berlin gelegt haben, denn hier passiert das meiste. Hier möchten wir gern bleiben.“