Alles nur Werbemasche

Sankt Pauli soll zum UNESCO-Kulturerbe werden. Kritiker*innen sehen in der Initiative einen Marketingtrick

„Sankt Pauli wird ballermannisiert und die, die einen Vorteil daraus ziehen, sind nicht die Einwohner“

Michel Ruge, Aktivist

Von Mareen Butter

Sankt Pauli soll immaterielles Kulturerbe der UNESCO werden – zumindest, wenn es nach der Quartiersmanagerin Julia Staron geht. Unterstützung erfährt sie unter anderem durch die Sankt Josephgemeinde, die IG Sankt Pauli und Travestie-Künstlerin Olivia Jones.

Bei der Initiative soll es jedoch nicht um eine Art Denkmalschutz gehen, wie es beim materiellen Welterbe der Fall ist. Vielmehr sei das Ziel, eine Diskussion im Stadtteil zu fördern: An die Bewohner*innen Sankt Paulis sollen Fragebögen verteilt werden, um herauszufinden, was Sankt Pauli eigentlich ist und was seine Anwohner*innen verbindet. Die Umfrage soll dann laut Staron bis etwa Ende des Jahres ausgewertet und anschließend beschlossen werden, ob die Bewerbung offiziell eingereicht wird. „Das alles wird uns sehr herausfordern“, sagt Staron, doch die Mühe sei es den Initiator*innen wert. Eva Decker vom Sankt Pauli Museum, die die Initiative unterstützt, sagt: „Wir wollen nicht erklären, was Sankt Pauli ist, sondern der Stadtteil soll es selbst herausfinden.“

Auch Pastor Sieghard Wilm von der evangelischen Kirchengemeinde Sankt Pauli unterstützt die Idee. Für ihn gehe es um Dialog und darum, dass möglichst viele Menschen animiert werden, mitzumachen. In der Tat ist eine Beteiligung der Gemeinschaft erforderlich, damit ein Ort als immaterielles Kulturerbe anerkannt wird, sagt Katja Römer, Pressesprecherin der deutschen UNESCO-Kommission. Auf der Liste der deutschen immateriellen Kultur­erben stehen zum Beispiel die ostfriesische Teekultur und der rheinische Karneval.

Die Begründer*innen der Ini­tiative luden gestern Medienvertreter*innen in die Kneipe „Silbersack“ ein, um das Projekt vorzustellen. Doch von Gemeinschaft keine Spur: Nur wenige Anwohner*innen hatten scheinbar von dem Projekt erfahren. Ein Grund zur Empörung für viele Anwesende, die in der Initiative nichts als einen Marketingtrick sehen. Sankt Pauli, so sind sich viele sicher, werde nur noch mehr zum öffentlichen Freilichtmuseum und Touristenviertel gemacht, von dem nur die großen Unternehmen profitieren, die Interessen der Einwohner*innen allerdings nicht beachtet werden.

„Was ist es denn eigentlich, dass ihr hier schützen wollt?“, so ein Zwischenruf aus dem Publikum. Ähnlich sieht das Michel Ruge, Schriftsteller und Stadtteil-Aktivist: „Dies hier ist eine Plattform der Selbstdarstellung. Sankt Pauli wird ballermannisiert und die, die einen wirtschaftlichen Vorteil daraus ziehen, sind jedenfalls nicht die Einwohner.“Auf die Nachfrage, was der Status als Kulturerbe für den Stadtteil zur Folge hätte, konnte niemand eine Antwort geben. Dafür sei die Planung noch zu wenig fortgeschritten.