Eine Lehre aus „Katrina“

Die Zunahme von Naturkatastrophen zeigt: Eine Versicherungspflicht für Gebäude ist notwendig. Versicherungen erzwingen Vorsorge – von Menschen, Firmen und Staaten

Es gibt sinnvolle Alternativen zum System der staatlichen Ad-hoc-Hilfen

Die Schlagzeilen über die vom Hurrikan „Katrina“ verursachte Katastrophe biblischen Ausmaßes verdecken, dass auch Europa in diesem Sommer von einer Serie von Naturkatastrophen betroffen war. „Starkregen“ in Rumänien und im Alpenraum war seit einigen Jahren das erste „Elementarereignis“, das in Deutschland wieder Menschenleben gekostet und Millionenschäden verursacht hat. Diese Unwetter wurden freilich rasch vergessen, weil sie jetzt von einem noch viel größeren in den USA eingeholt wurden.

Wettergefahren sind auch in Europa ein allgemeines Lebensrisiko geworden. Trotzdem treffen Elementarschäden die Bürger immer wieder unvorbereitet und daher mit besonderer Härte. Wir brauchen angesichts der nicht endenden Kette von Naturkatastrophen endlich eine übergreifende Strategie der Vorsorge.

Eine Versicherungspflicht, die Gebäude gegen Elementarschäden aller Art planmäßig absichert und damit auch Anreize zur ebenso planmäßigen Prävention setzt, sollte ein Eckstein einer solchen Strategie in Deutschland sein.

Die Versicherungswirtschaft kann große Schadenssummen schultern – das wird am Ende auch „Katrina“ zeigen. Das Problem rein privater Lösungen ist aber die selektive Deckung, die häufig gerade die am stärksten Betroffenen im Stich lässt. Dies ist jetzt in den USA so, wo gerade Industriebetriebe meist gut versichert sind, aber private Hausbesitzer mit schmalen Einkommen nicht. Und in Deutschland erhalten ausgerechnet die Menschen in den am stärksten hochwassergefährdeten Zonen keine Deckung der Risiken.

Wichtiger noch: Eine Versicherung macht durch ihre Prämien die Gefahren, die drohen, überdeutlich. Um die Kosten für hohe Prämien zu sparen, ändern Menschen ihr Verhalten. Versicherungen regen also Prävention – einzelner Menschen wie ganzer Gemeinden und Staaten – an und retten so im Endeffekt sogar Leben. Gute Versicherungen ersetzen also keineswegs eine vernünftige Klimaschutzpolitik. Im Gegenteil: Aus Eigeninteresse gehören die ansonsten viel gescholtenen Versicherungsgesellschaften schon seit längerem zu den größten Unterstützern eines umfassenden Klimaschutzes. Denn der schlägt sich bei ihnen in Euro und Dollar nieder.

Angesichts von Naturgefahren, etwa Erdbeben oder Hochwasser, rufen viele schlicht und einfach nach Bauverboten. Wenn aber Überflutungen aufgrund von Starkregen und Sturmschäden im Zuge des Klimawandels kein lokal begrenztes Problem mehr sind, dann sind Bau- und Benutzungsverbote keine überzeugende Antwort. Wir können nicht großflächig Regionen entvölkern und aus dem Wirtschaftsgeschehen herausnehmen. Das ist eine Politik an den Bedürfnissen der Menschen vorbei und unverhältnismäßig teuer. Schon heute sind 15 Prozent der Gebäude in Deutschland hochwassergefährdet, geht aus dem Zonierungssystem für Überschwemmung, Rückstau und Starkregen der deutschen Versicherungswirtschaft (Zürs) hervor. Im Einzugsgebiet des Rheins allein betrifft dies mehr als zwei Millionen Menschen. Und die Deutschen lieben es, ans Wasser zu bauen: Mehr als 16 Prozent der flussnahen Flächen in Deutschland sind heute bereits als Bauland genutzt, während in flussfernen Gebieten nur knapp 8 Prozent bebaut sind.

Der Anteil der Baulandflächen in den flussnahen Regionen wächst fortwährend und stärker als in flussfernen Gebieten. An dieser Entwicklung ist grundsätzlich nichts zu beanstanden, solange die Kosten des „Wohnens mit Flussblick“ nicht von der Allgemeinheit getragen werden. Aber wer am Fluss oder im Alpenvorland leben will, muss eben auch die damit verbundenen Kosten der Hochwasserrisiken tragen.

Unsere Nachbarländer zeigen, dass es sinnvolle Alternativen zum gegenwärtigen System der staatlichen Ad-hoc-Hilfen gibt. So wird in der Schweiz im Rahmen der kantonalen Monopolversicherungen eine intelligent verzahnte technische und finanzielle Vorsorge gegen Risiken von Naturkatastrophen betrieben. 70 Prozent aller Mittel im Katastrophenschutz gehen in der Schweiz in die Vorsorge und die Versicherung, nur 15 Prozent in die Soforthilfe. Die Mittel dafür kommen zu fast 60 Prozent von Privaten, der Bund zahlt nur 13 Prozent.

In Deutschland haben wir umgekehrte Verhältnisse: Weniger als 5 Prozent der Vorsorgekosten werden in Deutschland von den Privaten aufgebracht, und die meisten Mittel fließen in die staatliche Soforthilfe: allein 9,2 Milliarden Euro im Rekordjahr 2002.

Im Nachgang der Ereignisse an der Oberelbe im Sommer 2002 wurden von den Finanzministern und der Versicherungswirtschaft still und konstruktiv die Möglichkeiten einer Pflichtversicherung gegen Elementarschäden diskutiert, die – analog der Kfz-Haftpflicht – von der privaten Versicherungswirtschaft hätte realisiert werden sollen. Das Vorhaben scheiterte allerdings, da es der Versicherungswirtschaft ohne staatliche Garantien nicht machbar schien. Angesichts der großen positiven Wirkungen einer Elementarschadenversicherung muss man nüchtern feststellen: Wenn eine freiwillige privatwirtschaftliche Lösung nicht umsetzbar ist, dann muss man angesichts der Erfolge im europäischen Ausland über staatliche Monopollösungen nachdenken. Das consorcio in Spanien bietet ein Beispiel dafür, dass diese offenbar auch EU-konform sind.

Eine Versicherung macht durch ihre Prämien die Gefahren, die drohen, überdeutlich

Schließlich spielt auch der Gedanke der vorsorgenden Solidarität eine Rolle, der nur durch eine umfassende Pflichtversicherung gegen Elementarschäden zu realisieren ist. Zwar können heutzutage in Deutschland Flutgeschädigte mit großer Sicherheit auf staatliche Ad-hoc-Hilfen und private Spenden hoffen. Aber wie hoch die Hilfen im Einzelnen ausfallen und wie sie zugeteilt werden, weiß im Vorhinein kein Opfer. Das ist bei Versicherungen anders, bei denen es klare Auszahlungspläne gibt.

Niemand sollte solche planmäßige Versicherungsleistungen gering schätzen, denn auch in Deutschland sind durchaus auch sehr seltene Elementarereignisse jederzeit möglich, zum Beispiel ein schweres Erdbeben im Rheingraben. Die 2.000-jährige Geschichte Kölns zeigt: Der Domstadt drohen nicht nur Hochwasser, sondern auch Erdbebenkatastrophen. Nur eine Versicherung bietet den Opfern verlässliche Leistungen an, während staatliche Ad-hoc-Hilfen zwar spektakulär, aber im Detail wenig verlässlich sind.

Auch Versicherungen können natürlich keine Wunder bewirken und Naturereignisse verhindern. Aber die Kosten von klug gestalteten Versicherungen zwingen uns, das heißt jeden Einzelnen, Gemeinden, Firmen und Staaten, zu vernünftigerem Verhalten – und retten somit Menschenleben. Und im Schadensfalle wird zumindest eine planmäßige Entschädigung gezahlt. Wenn ein großer Meteorit einschlägt, mag das alles nichts helfen. Aber dann haben wir es ohnehin mit einer durch Vorsorge unbeherrschbaren Situation zu tun. REIMUND SCHWARZE
GERT G. WAGNER