Der Hausbesuch: „Alter, wo bin ich hier gelandet?“

Seine erste Rolle in Deutschland: Rotkäppchen. Es war Fasching. Heute ist er Schauspieler und will Rollenbilder aufbrechen. Bei Hadi Khanjanpour in Berlin.

Ein Mann steht an einer offenen Balkontür

Hadi Khanjanpour – ein Mann mit vielen Rollen Foto: Piero Chiussi

Berlin wächst. Neue Menschen kommen in die Stadt, Wohnungen entstehen, auch nahe des Treptower Parks. Hier lebt der Schauspieler und Theaterregisseur Hadi Khanjanpour.

Draußen: Ruhig ist es, die Luft ist frisch. Die hellen Bauten wirken sortiert, aufgeräumt. Ein Ort, an dem man dem Trubel der Stadt entkommen kann.

Drinnen: Minimalistisch eingerichtete Zimmer, viel Teppich, viel Selbstgebautes, viel Holz. Überall liegt Spielzeug von Tochter Ava: ein Malblock, eine Kindergitarre, ein Luftballon in Form einer großen Drei, übrig vom letzten Geburtstag. Hadi Khanjanpours Frau Anne hat die anderen Ballons kaputtgemacht. „Das war traurig“, sagt er.

Kinder: „Sie entlarven dich sofort. Sie spüren, ob es dir gut geht oder nicht. Du kannst da nicht spielen.“ Das fasziniert ihn. Er versucht ohnehin, außerhalb seines Berufs so wenig wie möglich zu spielen: „Ich mag es nicht, wenn Leute sich kaschieren.“

Heimat: Ein Karton im Gästezimmer erinnert an den Umzug vor einem Jahr. Aus Offenbach in Hessen. „Anne hat ihre Heimat zu sehr vermisst“, sagt Khanjanpour. Seine Frau ist Berlinerin. „Mir gefällt es hier ehrlich gesagt gar nicht.“ Berlin ist ihm zu groß. Die Leute zu reserviert. „Was mich stört, ist dieses vorgegaukelte – und ich sag bewusst vorgegaukelte – Multikulti.“ Die Menschen vermischten sich nicht. „In Frankfurt bin ich Offenbacher. Hier Frankfurter mit Herz und Seele.“

Erinnerungen: Geboren ist Khanjanpour in Teheran. Vier war er, als er mit Vater, Mutter, Schwester nach Deutschland floh. Während des Iran-Irak-Krieges 1986 war das. Khanjanpour weiß noch, wie seine Mutter ihn damals weckte. Es war Nacht. „Wir sind in den Hof gegangen, da waren blau-grüne Lichter, die an uns vorbei gezischt sind.“ Das waren die Raketen. „Um mich abzulenken, hat meine Ma gesagt: Die Leute feiern.“

Rotkäppchen: Ein frühes Erlebnis im deutschen Kindergarten war Fasching („Die sind da rumgehüpft, alle verkleidet und ich habe mich gefragt: Wo sind wir hier gelandet?“). Khanjanpour bekam ein Rotkäppchenkostüm, „mit Tuch um den Kopf“. Mit einem anderen Jungen aus dem Flüchtlingsheim ging er in den Kindergarten. „Der Junge hat so geflennt und ich wollte auch flennen, aber ich habe mich nicht getraut.“

Energie: In Hessen lebte die Familie vier Jahre lang in Heimen. Bis ihnen ein Mann aus einer Kirchengemeinde bei der Wohnungssuche half, ihnen die hohe Kaution für eine Wohnung in Offenbach lieh, die der Vermieter verlangte. Warum er ausgerechnet ihnen half, hat Khanjanpour später gefragt. Wir hätten eine andere Energie, habe der Mann gesagt. „Meine Eltern wollten nur nach vorn. Das ist der Unterschied zu manchen, die hängen geblieben sind oder die diese Integration nicht geschafft haben.“

Ein Sofa mit ornamentvollem Bezug. Darauf sind eine Puppe, eine Gitarre und ein Topf, in dem Eier und Spielsachen sind

Eine Sofaecke als familiäres Stillleben Foto: Piero Chiussi

Schule: Später entschied die Familie, dass er die Schule wechseln soll. Der offene Rassismus des Lehrers wurde zu viel. Er hatte gesagt: „Guck mal dein türkischer Kollege hat uns schon verlassen, dein jugoslawischer Kollege ist schon weg, überleg’ dir doch auch, ob du noch hierbleiben willst.“ Wenn Khanjanpour Zitate des Lehrers heute in seine Stücke aufnimmt, würden ihm die Zuschauer deren Herkunft selten glauben.

Alla Tschö“: Nach dem Abitur zog Khanjanpour nach Darmstadt, um Sportinformatik zu studieren. „Da war einer, der hat immer ‚Alla Tschö‘ gesagt.“ Khanjanpour fühlte sich provoziert. „Ich dachte, der will mich verarschen. Ich dachte: Junge, warum sagt der immer ‚Allah‘?“ Bis er nachfragte, sein Kommilitone sagte: „Was ist los? Das sagt man bei uns so, das heißt: Alla Tschö!“ Das ist hessisch für „Alter“ oder „Alter, was geht?“ Und Khanjanpour erkannte: „Ich weiß so wenig. Ich kenne diese habits nicht, deren Umgang miteinander.“

9/11: Der 11. September 2001 hat vieles verändert: „Da war ich dann plötzlich Muslim in den Augen der Deutschen.“ In der Clique hätten sie gemerkt: Jetzt müssen sie sich auch wie Muslime benehmen („Viele sind dann beten gegangen“). Auch der Sprachgebrauch hat sich verändert. „Zum Beispiel haben wir dann gesagt ‚Akhi‘ – das ist der islamische Bruder –, wir haben dann untereinander gesagt: ‚Akhi, was geht? Bruder, was geht?‘ Ich kenn’ zwei, drei, die sind echt extrem geworden.“ Bei ihm kam dann relativ schnell das Theater. „Und wir sind getrennte Wege gegangen.“

Prägung: Seine Erinnerungen begann Khanjanpour in seinen Stücken zu verarbeiten. Zum Beispiel in „Die Stunde der Wahrheit“. Da steht er allein auf der Bühne, mit nur einem Requisit, spielt die Offenbacher Clique, den rassistischen Lehrer, Menschen, die ihn prägten. „Ich habe gemerkt, dass ich Theater spielen will, weil ich Geschichten zu erzählen habe.“ Eines seiner großen Vorbilder ist Charlie Chaplin.

Der Clown: „Bei meinen Freunden war ich der Ruhige, der mitläuft, der eher nachdenklich ist.“ Dabei sei er in Wirklichkeit lieber der Clown. Bei seinem ersten Theatercasting, wo er zufällig gelandet war, wurden für das Schauspiel Frankfurt zwei migrantische Darsteller gesucht: „Der eine war dieser harte Junge und der andere war der Clown.“ Khanjanpour war eigentlich für den harten Jungen gecastet. „Nach zwei Wochen Proben haben die gesagt, wir müssen die Rollen tauschen.“

Willen: Als er sich an der Schauspielschule in Ludwigsburg bewarb, hat er den Eltern nichts erzählt. Den Text aus Hamlet, den er vorsprechen musste, lernte er heimlich im Keller. Seine Eltern waren traurig, als sie von der Zusage erfuhren und dass er das Studium in Darmstadt abbrach. „Weil sie wussten, ich zieh jetzt weg.“ Inzwischen sind sie stolz, erzählen anderen von seinen Preisen.

Herausforderung: Seine Frau lernte er in Ludwigsburg kennen, als sie für einen Film über Geschlechtsangleichung einen iranischen Schauspieler suchte. Sie ist Kamerafrau. „Ich hätte nie gedacht, dass ich so eine Rolle mal spiele. Ich bin ganz andere Geschlechterrollen ­gewöhnt.“

Figuren: Die ersten Rollen, die er an der Schauspielschule spielen sollte, waren Homosexuelle. „Die dachten: Der kommt aus Offenbach und der redet so ein bisschen Kanakisch, das ist so ein Machojunge, wir geben ihm Rollen, wo er gebrochen wird.“ Khanjanpour konnte sich mit den Figuren identifizieren („Sie lagen mir nah“). Es sei schließlich absurd zu denken, dass die Sexualität eine Figur ausmacht: „Ein Macho kann genau so emotional sein wie ein Homosexueller. Es kommt drauf an, welche Energie eine Figur hat, wo die Figur hin will.“

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Tatort: Inzwischen hat es Khanjanpour in den „Tatort“ geschafft. Sein Ziel: „Einmal in einem Frankfurter ‚Tatort‘ mitzuspielen.“ Und Rollen zu spielen, in denen die Herkunft nicht Teil der Figur ist („Sie soll nicht als Erklärung dienen, warum eine Figur so und so handelt“).

Theaterperipherie: In den Stücken, die er heute im Frankfurter Theater Theaterperipherie macht, gehe es darum, sich von Rollenerwartungen „frei zu machen“, zum Beispiel in dem preisgekrönten Stück „KameLions“: „Das hab ich wirklich für uns gemacht, für uns Frankfurter oder Offenbacher Jungs.“ Es geht um das Erwachsenwerden, auch um den Umgang mit Frauen. „Ich will mit dem Stück zeigen: Jungs, es gibt auch mehr, als dieses Gemache, ihr dürft zeigen, wer ihr seid.“

Masken: Khanjanpour erzählt von Jugendlichen, die zu ihm kommen und sagen: „Ich will nicht mehr Hurensohn sagen, ich will nicht mehr Bastard sagen, ich will mich nicht schlagen. Heute muss ich mich in der Pause mit dem und dem schlagen, weil ich meinen Freund verteidigen muss.“ Man werde in ein Korsett gesteckt, von Freunden, von der Familie. Es gelte: „Du musst ein Mann sein.“ Wenn Khanjanpour merkt, dass Jugendliche Masken aufsetzen, um mit ihrer Unsicherheit klarzukommen, macht es ihm Spaß, das durch das Theater aufzubrechen.

Mission: „Den Biodeutschen, den Almans zu zeigen: Ey, wir wollen auch teilhaben, ich bin deutsch, ich gehör hier dazu, nehmt das jetzt verdammt nochmal an.“

Identifikation: Wenn sich auch andere in seinen Theaterstücken wiederfinden, freut ihn das. „Ich habe ‚Die Stunde der Wahrheit‘ in Dresden gespielt, an Schulen, wo nicht ein Migrant war. Die waren so schweigsam während des Stücks und haben grimmig geguckt und ich dachte: Alter, wo bin ich hier gelandet?“ Beim anschließenden Publikumsgespräch hätten sie gesagt, sie seien bloß konzentriert gewesen: „Wir kennen das auch.“

Wie findet er Merkel? Da müsse er nun doch als Migrant sprechen. „Dass sie ‚Wir schaffen das‘ gesagt hat, hat mich sehr berührt. Sie hat das Maximum raus geholt aus ihrer Situation“, sagt er. „Aber wie sie mit Homosexualität umgeht, finde ich nicht sehr angenehm.“

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