Benjamin Moldenhauer
Popmusik und Eigensinn
: Artifizielle Gefühle

Roxy Music von 1972, also das Debütalbum der gleichnamigen Band, hat der Schriftsteller und Musiker Thomas Meinecke als eine Art Erweckungserlebnis beschrieben. Die Platte, die ihn wegführte vom ästhetischen Koordinatensystem Rock und hinzog zum Pop. Ein schöner Schock: „Auf diese Art aufwändig inszenierter Androgynität war ich (ohnedies verunsichert, weil ich tagtäglich für ein Mädchen gehalten wurde) so gut wie gar nicht vorbereitet.“

Das Zentrale für Meinecke, der Punkt, den er mit seiner eigenen Band Freiwillige Selbstkontrolle später immer wieder aufnehmen sollte: „Beunruhigende Künstlichkeit des Ganzen; das musste ich erst noch erlernen: die Gemachtheit der Popmusik als ihre große Stärke zu begreifen.“ Lernen konnte man mit der von Bryan Ferry gegründeten Band nicht nur viel über die Schönheit der Rekontextualisierung, sondern auch, dass Artifizialität und Emotionalität keine Gegensätze bilden.

Ferry sang in „In Every Dream Home A Heartache“ so sonor wie herzerweichend über die Liebe des lyrischen Ich zu einer Gummipuppe („My breath is inside you/I’ll dress you up daily/And keep you till death sighs“). Der Song zeigt exemplarisch, dass mit „Gemachtheit“ bei Roxy Music immer die schöne Oberfläche und Entfremdung zugleich gemeint waren. Und das Gesamtwerk Bryan Ferrys, bis zum bislang letzten Solo-Album „Avonmore“ arbeitet sich an diesem Widerspruch ab, der für das Künstlersubjekt, das sich selbst entwerfen muss, als Spannung erscheint zwischen den Forderungen der Gesellschaft beziehungsweise der Natur und allem, was man dem entgegenzusetzen hat, um so weit es eben geht autonom zu werden.

Ferry hat mit Roxy Music und mit seinen Solo-Alben ein ostentatives Stilbewusstsein kultiviert und sich bis heute erhalten. „Re-Make/Re-Model“: Musikalisch ging es nach vorn damals, die Ästhetik sollte vor die Hippie-Ära zurückweisen; der weiße Smoking aus dem Videoclip zu „Avalon“, eine Hommage an „Casablanca“. „Mein Leben besteht darin auszuwählen. Hier ein wenig, dort etwas, und am Ende kommt dabei heraus, was man Geschmack nennt“, sagt Ferry. Dandytum als Tradition, die hilft, die Zumutungen der Welt abzuwehren.