heute in hamburg
: „Kinderrechte nicht genug geschützt“

Foto: privat

Wolfgang Rosenkötter, 72, ist Sozialwissenschaftler und ehemaliges Heimkind. Nach seinen Aufzeichnungen entstand der Film „Freistatt“.

Interview Kaija Kutter

taz: Herr Rosenkötter, worüber sprechen Sie heute beim Fachtag „Kinderrechte sichern!“?

Wolfgang Rosenkötter: Über die Entwicklung der Heimerziehung und der schwarzen Pädagogik, die dort in den 50er-, 60er- und 70er-Jahren vorherrschte. Ich werde den Bogen zu heute ziehen, weil Kinderrechte leider auch heute wieder nicht ausreichend gewahrt werden.

Ihr Vortrag heißt „Entpersönlichung und Entwürdigung von Freistatt bis Friesenhof“. Was ist Entpersönlichung?

Entpersönlichung ist etwas, was ich als Heimkind Ende der 60er im Heim Freistatt selber erlebt habe und was über 800.000 Heimkinder im ganzen Land erdulden mussten. Dass sie keine Rechte haben als Kind. Dass sie der Institution ausgeliefert sind.

Und das gibt es heute noch?

Leider gibt es das wieder, wie ja auch die Beispiele Haasenburg und Friesenhof zeigen. Das Problem geht über Deutschland hinaus. Es gab am Wochenende einen Bericht auf Arte über die Jugendhilfe in Europa. Über acht Millionen Kinder sind in Europa in Heimen, in denen auch geschlagen und entpersönlicht wird.

Warum ist das so?

Ich habe nur eine Vermutung: dass der Begriff der Kinderrechte nicht genug geschützt ist. Obwohl die Fachleute seit zehn Jahren über nötige Partizipation sprechen, ist Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention nicht umgesetzt. Der sichert jedem Kind das Recht auf freie Meinungsäußerung zu.

Was sollte Hamburg tun?

Wir brauchen in allen Bezirken Ombudsstellen für Kinder, die wirklich unabhängig von den Behörden sind. Man muss mehr Öffentlichkeit schaffen für das Thema und es müssen auch die Elternrechte mehr gesichert werden. Dass sie sich informieren können und Einfluss nehmen, wo ihre Kinder sind.

Was verbindet Sie mit Freistatt?

Fachtag „Kinderrechte sichern!“, 10 bis 17 Uhr, im Rathaus auf Einladung der Linksfraktion, Eintritt frei

Freistatt war das Heim, in dem ich selber groß geworden bin. In dem gleichnamigen Film, der 2015 fertig gestellt wurde, habe ich meine Erlebnisse verarbeitet. In Freistatt habe ich all die schlimmen Dinge erlebt, die Kinder eigentlich nie erleben sollten, nämlich innere Verwahrlosung, Demütigung und unendliche Einsamkeit.

Welche Erfahrung machen Sie mit dem Film?

Ich bin seit 2015 mit diesem Film als Zeitzeuge unterwegs. Er sensibilisiert die Menschen für das Unrecht, was Kindern in Heimen geschehen kann, und sollte Lehrfilm für künftige Sozialpädagogen sein.

Die Opfer der Heimerziehung aus den 50er- bis 70er-Jahren erhielten Entschädigungen. Sollte das auch für die Opfer von Haasenburg und Friesenhof gelten?

Genau so sehe ich das. Die erlebte Entwürdigung hat für die Betroffenen Auswirkungen auf das weitere Leben. Das ist eine schwierige Situation, wo etwas Geld helfen kann, zum Beispiel für Therapien. Obwohl Geld nie ein Ausgleich für das sein kann, was man erlebt hat.