berliner szenen
: Kommt sowieso keiner mehr

Wenn man verstehen möchte, wie Chris Dercon die Volksbühne her­un­tergewirtschaftet hat, muss man in die Volksbühne gehen. Dort eine der besten Inszenierungen ever sehen. Und dann ist das Theater halb leer. Ich bin in Castorf-Inszenierungen immer eingeschlafen, fand die Besetzung der Volksbühne pubertär, hätte einem neuen Chef eine Chance gegeben und gehe nicht oft ins Theater. Daher betrachte ich mich als einigermaßen objektiv.

Dann habe ich mich doch aufgerafft, mir eine Inszenierung der „neuen“ Volksbühne anzusehen. „The Show must go on“ von Jérôme Bel ist eine Tanzshow, bei der Leute, die das nicht professionell machen, zu Gassenhauern wie „Let’s Dance“ von David Bowie oder „Private Dancer“ von Tina Turner tanzen. Die Choreografien sind idiosynkratisch und Hommage an die Autoradio-Stücke, die sie begleiten. Schwer zu beschreiben, man muss es sehen.

Der Mensch am Einlass sagt, dass ich mich in die erste Reihe setzen soll: „Da kommt sowieso keiner mehr.“ Es folgt eine Bombenshow, die ununterbrochen ausverkauft sein müsste. Und das, obwohl keiner von den Akteuren tanzen kann, es keine Story gibt und kein Wort gesprochen wird. Und die Musik größtenteils furchtbar ist.

Aber es ist das demokratischste, humanistischste Stück Bühnenkunst, das ich seit Jahren gesehen habe. Es sagt: dass wir alle verschieden sind. Dass man trotzdem miteinander klarkommen kann, wenn man sich an ein paar einfache Regeln hält und die Contenance behält. Und dass jeder Mensch auf seine Weise schön ist.

Offenbar ist das Stück ein Höhepunkt der postmodernen Tanzperformance, ein Genre, das mir normalerweise die Fußnägel aufrollt. Trotzdem hat es mich zum Lachen und zum Weinen gebracht. Es läuft in der Volksbühne nur noch einmal: am 17. Juni. Tilman Baumgärtel