Puppen und Puderzucker

Mit Lust und Leiden: Schaubude feiert mit „Jubiläumskonzert der Dinge“ den 25. Geburtstag

Von Katja Kollmann

Nebel über einer Landschaft aus Schreibmaschinen, Wäldern aus Zollstöcken und Ebenen aus Weingläsern. Man steht auf der Bühne der Schaubude und schaut von außen darauf wie ein Riese. Dann atmet der Papierberg mit einer beruhigenden Regelmäßigkeit, eine rauchige Männerstimme hüllt diese Topografie der Gebrauchsgegenstände in einen Mantel aus Erinnerung. Der katalanische Avantgardekünstler Joan Brossa beschreibt den Moment, als er während des spanischen Bürgerkriegs im Schützengraben schwer verletzt wurde. Die Gruppe Cabosanroque aus Girona gibt in „Ich entstamme nicht Joan Brossa“ seinen Gedichten durch diesen speziellen Raum eine starke Schwebekraft. Ist man des Katalanischen nicht mächtig, verschmelzen die Laute mit dem Singen der Zollstöcke und werden begleitet von dem genau getakteten Zucken der Schreibmaschinen. So viel unbelebte Sinnlichkeit überwältigt. Liest man die rezitierten Gedichte auf Deutsch, verändert sich der Blick auf die Bewegungen der Dinge. Das federleichte Hin- und Herspringen der kleinen Bälle von einem Glas zum anderen weckt nun Assoziationen an Menschen, die einem Krieg ausgeliefert sind.

Die Schaubude feiert ihren 25. Geburtstag und hat sich beschenkt mit dem „Jubiläumskonzert der Dinge“. Zwei Gratulanten kommen aus Katalonien, einer aus Frankreich. Laurent Bigot hat seinen kleinen Zirkus aus Grenoble nach Berlin mitgebracht. Mikrofone verstärken die Geräusche bei seinem Objekttheater. Der Beginn aber ist leise: ein wunderbares Stück Schattentheater mit einer anmutigen Akrobatin auf einem Seil. Dann schleudert Bigot eine Plastikpuppe nach der anderen gegen die Leinwand, die gerade noch die grazile Artistin gezeigt hat. Die Ruh’ ist hin. Am Schluss hängen die Plastikpuppen an Seilen und schlagen beim Herumwirbeln ständig an Wände. Man kann nicht anders, man empfindet Mitleid mit ihnen und spürt fast körperlichen Schmerz.

Im Theaterfoyer stehen drei kleine Häuschen mit Bedienungsanleitung und Kopfhörern. Das ist ein Puppenhausspiel für Große und gleichzeitig ein Stück Dokumentartheater. So läßt Xescá Salva aus Katalonien in der deutschen Version ihrer „Cases“ eine obdachlose Frau, mehrere Prostituierte und zwei ältere Frauen, die sich an ihre Jugend in der DDR erinnern, zu Wort kommen. Man taucht komplett ein in diesen Mikrokosmos der Häuser. Engagiert rotiert man auf Anweisung eine handballgroße Diskokugel über dem Partyraum, blickt auf diesen und hat dabei Bilder von ausgelassenen DDR-Jugendlichen vor Augen. Man streut wild Puderzucker über eine Stadtlandschaft aus Holzklötzen. Im Kopfhörer stürmt es. Darum schneit es. Und man hört den Worten der obdachlosen Frau, wenn sie über den Winter in der Stadt spricht, ohne die üblichen Abgrenzungsmechanismen zu. So als hätte die Verbindung von Hörerlebnis und Spiel die emotionale Wahrnehmung geschärft. Gleichzeitig wird das Gefühl der geduldigen Neugierde wieder geweckt, das im Erwachsenenleben oft keinen Platz hat. Mit Lust führt man die Anweisungen aus dem Kopfhörer aus, ohne sofort Verstehen zu wollen. Und denkt erst später darüber nach und lächelt: Ein DDR-Haus mit einem Raumschiff entern, das ist mehr als subversiv. Das ist Beihilfe zur Republikflucht!

Alles Gute zum 25. Geburtstag, Schaubude! Dem Theater der Dinge ein langes Leben!

Jubiläumskonzert der Dinge noch Samstag und Sonntag in der Schaubude, Greifswalder Str. 81–84. Vorstellungen ab 16.30 Uhr