Journalisten-Mord vorgetäuscht: Untot in der Ukraine

Am Dienstag bestätigten die ukrainischen Behörden die Ermordung des russischen Journalisten Arkadi Babtschenko – nun tauchte er lebend wieder auf.

Arkadi Babtschenko

Fast gut gelaunt statt tot: Arkadi Babtschenko Foto: dpa

KIEW taz | Mit betretenen Gesichtern stehen Reporter, Nachbarn, Polizisten und Kameraleute – vor dem zehnstöckigen Reihenhaus in der Mykilsko-Slobidska-Straße Nr. 6, unweit der Metro-Station „Linkes Ufer“ in der ukrainischen Hauptstadt. Hier also ist ihr Nachbar vor wenigen Stunden ermordet worden, klagt eine Frau. „Er war ein guter Mensch, hat sechs Kinder adoptiert. Er war immer sehr fröhlich.“ Ein Herr in Anzug und Krawatte, der nur Englisch spricht, will einen Strauß Blumen vor der Tür ablegen. „Bitte machen Sie das noch mal“, ruft ihm der Kameramann zu. „Langsamer.“

„Ich wundere mich, dass man hier so einfach in das Haus zur sechsten Etage gehen kann, wo der Mord passiert sein soll“, wundert sich ein ukrainischer Journalist. „Normalerweise wird in Mordfällen weiträumiger abgesperrt.“ Auch er macht sich auf den Weg in den sechsten Stock, zum Tatort.

Die Vorahnung ist begründet. Im Laufe des Tages erweist sich, dass die Geschichte des Mordes am russischen Journalisten Arkadi Babtschenko eine andere ist als zunächst gedacht.

Der bekannte Putin-Kritiker, der wegen zahlreicher Drohungen Russland vor einem Jahr verlassen hatte, war laut ersten Berichten in einer Blutlache mit dem Kopf nach unten tot aufgefunden worden. Es war die Nachricht des Tages in Kiew. Am frühen Nachmittag bestätigte die Kiewer Polizei offiziell den Tod des Reporters. Mit drei Schüssen in den Rücken sei er im Eingang seiner Wohnung erschossen worden, als er von einem Einkauf zurückgekommen sei. Seine Frau Olga habe den 41-jährigen Journalisten in ihrer Wohnung gefunden. Die Kiewer Polizei gehe davon aus, dass der Mord in direktem Zusammenhang mit der Arbeit des oppositionellen russischen Journalisten stehe.

Zwei Monate Vorbereitung

Kurzfristig beraumte der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU für den Nachmittag ein Briefing an. Da platzte die Bombe: Neben dem Chef des Inlandsgeheimdiestes, Wasili Grizak, präsentierte sich ein aufgeräumter, fast fröhlicher Arkadi Babtschenko – lebend.

„Oletschka, vergib mir bitte“, wandte er sich an seine Frau und räumte ein, dass er an einer Inszenierung mitgewirkt hatte.

Journalist Arkadi Babtschenko

„Oletschka, vergib mir bitte“

Der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU habe daran zwei Monate gearbeitet, erklärte Grizak den erstaunten Reportern. Man habe den Mord vortäuschen müssen, weil man erfahren hatte, dass der russische Geheimdienst tatsächlich einen Mordanschlag auf Babtschenko geplant habe. Und um die russischen Täter und Auftraggeber in Sicherheit zu wiegen, habe man den Mord vorgetäuscht.

Der ukrainische Generalstaatsanwalt Juri Luzenko zeigte sich zufrieden. „Es ist eben nicht richtig, dass in der Ukraine keine Terroranschläge aufgedeckt werden“, erklärte er den verdutzten Journalisten. Russland habe zwei Killer angeheuert und ihnen für den Mord 40.000 US-Dollar angeboten. Einen Vorschuss von 15.000 hätten sie bereits erhalten. Der Auftraggeber sei noch am Nachmittag verhaftet worden, so der SBU.

Putin-Gegner

Babtschenko hatte vor einem Jahr Russland angesichts zunehmender Drohungen verlassen. Er lebte in Israel und Tschechien, bevor er nach Kiew zog. Unter Russlands Journalisten gehörte er zu den schärfsten Kritikern von Präsident Wladimir Putin. Er weigere sich, von einem „Präsidenten Putin“ zu sprechen, hatte er einmal gesagt: Wie könne man jemanden, der die Macht mit Gewalt usurpiert habe, als „Präsidenten“ ansprechen.

Babtschenko hat in beiden Tschetschenienkriegen auf der russischen Seite gedient, zunächst als Wehrpflichtiger, dann als Zeitsoldat. Nach seinem Jura-Studium machte er sich im russischen Fernsehen als Korrespondent und Kriegsberichterstatter einen Namen. Im Konflikt in der Ukraine bezog er von Anfang an Position für die Ukraine. Der Konflikt sei eine russische Besetzung des Donbass, zitiert ihn das Internet-Portal „Svoboda“.

Die Inszenierung des Mordanschlags könnte nun seine Freunde düpieren. Sergiy Tomilenko, Vorsitzender des ukrainischen Journalistenverbandes, hatte am Morgen gegenüber der taz im Namen seines Verbandes den „brutalen Mord“ verurteilt und eine gründliche Untersuchung gefordert. „Der Mord geschieht vor dem Hintergrund einer systematischen Straflosigkeit für Verbrechen gegen Journalisten, die unser Verband in der Ukraine dokumentiert hat“, hatte er gesagt.

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