Großes Giesinger Gefühlskino

1860 München schafft es mit dem 2:2 gegen Saarbrücken raus aus dem erniedrigenden Viertliga-Dasein. Und träumt schon vom nächsten Aufstieg

Nur schnell raus aus der S-Bahn-Liga: Ein Sechzger feiert nach dem Rückspiel den Aufstieg Foto: dpa

Aus München Thomas Becker

Irgendwann spielt der Stadion-DJ einfach „Eviva España“, warum auch nicht. Hat zwar überhaupt nichts mit den Sechzgern zu tun, lässt sich aber prima mitgrölen, und darum geht’s ja wohl nach diesem finalen Duell der Regionalliga-Meister Süd und Südwest: den Frust rausbrüllen über die Erniedrigung, die so ein Viertliga-Dasein für einen Traditionsverein mit höheren Ansprüchen nun mal mit sich brachte. Während die Münchner Löwen erst im Vorjahr von der zweiten in die vierte Liga gerauscht waren, dümpelt der 1. FC Saarbrücken schon seit vier Jahren in der Bedeutungslosigkeit herum – und wird dort auch erst mal bleiben: Nach der 2:3-Heimniederlage langte es im Rückspiel für die Saarländer im mit 12.500 Zuschauern ausverkauften Grünwalder Stadion nur zu einem 2:2. Seitdem scheint die Löwen-Sonne wieder bei Tag und Nacht: Eviva España! Nie mehr vierte Liga!

Es ist schon eine ziemlich merkwürdige Veranstaltung, diese Aufstiegsrunde zu dritten Liga. Die fünf Regionalliga-Meister und der Zweitplazierte der Regionalliga Südwest spielen in Hin- und Rückspiel drei Aufsteiger aus. Ein verwirrender Modus, der künftig noch ein wenig verwirrender wird: Der Südwest-Meister steigt in den kommenden beiden Jahren automatisch auf. In der nächsten Spielzeit erhalten der Nordosten und der Westen noch einen festen Aufstiegsplatz. Die anderen beiden Meister spielen den Vierten aus, ihre Ligen erhalten für 2019/2020 dann direkte Quotenplätze, alles klar? Es finden sich illustre Namen unter den Aufstiegskandidaten: Neben Außenseiter Flensburg bringen es die anderen Teams auf insgesamt 52 Bundesliga-Jahre: 1860 auf 20, Uerdingen 14, Waldhof Mannheim 7, Cottbus 6 und Saarbrücken 5. Bei so viel Erstliga-Historie kann so ein Drittliga-Aufstieg ja nur der Anfang sein.

Wie hoch der Druck auf dem Regionalliga-Kessel ist, zeigt der Spielabbruch in Mannheim. Und wie sich die Lage im immer wieder von Bengalos erleuchteten Grünwalder Stadion entwickelte hätte, wenn Saarbrücken seine 2:0-Führung gehalten hätte, weiß niemand so genau. Das Einzige, was beim Giesinger Chaos-Klub berechenbar ist, ist seine Unberechenbarkeit, und das schon seit vielen Jahren.

Die Liste der unfassbar peinlichen Löwen-Klöpse der letzten Jahre ist länger als die ewige Bundesligatabelle, und auf der stehen immerhin 55 Klubs. Allein das ewige Hin und Her um den sogenannten Investor Hasan Ismaik füllt oberschenkeldicke Kladden – und ist ja noch lange nicht ausgestanden. Nach dem Abstieg aus Liga zwei verweigerte Ismaik die für eine Lizenz für die dritte Liga nötigen Zahlungen, sodass die Mannschaft in der sogenannten S-Bahn-Liga antreten musste.

Das Einzige, was beim Giesinger Chaos-Klub berechenbar ist, ist seine Unberechenbarkeit

Dennoch will Ismaik Anteilseigner bleiben und auch gegen die 50+1-Regel klagen, um mehr Mitbestimmung zu erreichen – was nun wirklich nicht alle Fans gut finden. Fortsetzung des Kasperl-Theaters folgt, garantiert. Jetzt aber erst mal Jubel über Liga drei, schließlich war es ganz schön knapp gegen den FCS, der in beiden Spielen die bessere Mannschaft war, aber zu viele dumme Fehler beging. Davor hatten die beiden Teams sich zuletzt vor zwölf Jahren beharkt, als Zweitligisten, in der schicken Allianz Arena. Womit wir bei der Stadionfrage sind, die viele Ex-Erstligisten beschäftigt: Der Saarbrücker Ludwigspark, wo 1977 vor 39.000 Zuschauern der FC Bayern mit 6:1 vermöbelt wurde, wird vier Jahre lang zu einem 17.000-Mann-Stadion umgebaut. Seit zwei Jahren spielt der FCS in einem Winz-Stadion (8.400 Zuschauer) im benachbarten Völklingen – dritte Liga hätte man sich hier kaum vorstellen können. Das städtische Grünwalder Stadion ist dagegen offiziell drittligatauglich, aber natürlich sprach der erste Löwen-Kicker kaum zehn Minuten nach dem Schlusspfiff schon vom nächsten Aufstieg, und wo 1860 dann kicken soll, weiß kein Mensch. Grünwalder? Null Chancen auf eine Genehmigung.

Olympiastadion? Schon damals ungeliebt. Allianz Arena? Die ist jetzt endgültig rot. Bleibt wohl nur ein Neubau irgendwo auf der grünen Wiese, und ob der ohne den wankelmütigen Finanzier Ismaik finanzierbar wäre?

In Liga drei wird sich bei den WeißBlauen wohl nicht allzu viel ändern. Trainer, Publikumsliebling und Ur-Löwe Daniel Bierofka bleibt („Ich wäre der größte Vollidiot, wenn ich jetzt diese Mannschaft verlassen würde“), ebenso wie der Ex-Bundesliga-Torjäger Sascha Mölders, der in der Liga 19 Mal traf und in den zwei Aufstiegsfinals insgesamt drei Mal. Für den gebürtigen Essener ändert sich allerdings schon etwas: Bislang prangen Tattoos von vier Ex-Vereinen auf seiner Brust – nun lässt er sich noch das Sechzger-Wappen stechen. Löwen-Leidenschaft, die unter die Haut geht. Großes Giesinger Gefühls-Kino. Drunter macht es 1860 einfach nicht.