Kommentar Oleg Senzow im Hungerstreik: Zynisches Dilemma

Lässt die russische Regierung zu, dass sich Oleg Senzow zu Tode hungert? Eigentlich will sie bei der Fussball-WM ihr Image polieren.

Ein Mann in Nahaufnahme hinter Gittern

Der ukrainische Regisseur Oleg Senzow schaut während seines Prozesses in Rostow am Don aus seinem Käfig Foto: dpa

Es ist ein Drama, das einen tödlichen Ausgang nehmen könnte. Seit dem 14. Mai befindet sich der ukrainische, in Russland inhaftierte Regisseur Oleg Senzow im Hungerstreik. Sein Gesundheitszustand ist kritisch, doch er scheint fest entschlossen, seine Aktion bis zum bitteren Ende durchzuziehen.

Dabei geht es Senzow nicht nur um seine eigene Sache, sondern um rund 60 bis 70 Ukrainer, die derzeit in russischen Gefängnissen sitzen und deren unverzügliche Freilassung er fordert. Diesen Fällen, die schon längst aus dem Fokus der Öffentlichkeit verschwunden sind, ist eins gemein: Sie beruhen auf abstrusen und fabrizierten Anklagen mit dem Ziel, Oppositionelle jedweder Couleur kaltzustellen und gleichzeitig potenziellen Kritikern deutlich vor Augen zu führen, was auch ihnen blühen könnte.

Diese „Strategie der Abschreckung“ ist laufend zu besichtigen – nicht zuletzt auf der 2014 annektierten Halbinsel Krim, wo Vertreter der Minderheit der Krimtartaren beinahe tagtäglich Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen werden.

Auch wenn die russische Staatsmacht ansonsten nicht zimperlich ist, wenn Oppositionelle – meist aus ungeklärten Gründen – in Haft zu Tode kommen, sieht es im Fall Senzow etwas anders aus. Der Mann ist international bekannt und genießt auch außerhalb der Ukraine und Russlands eine breite Unterstützung.

Was jedoch noch schwerer wiegt: In knapp drei Wochen beginnt in Russland die Fußballweltmeisterschaft, die der Kreml natürlich dafür nutzen möchte, um sein Image etwas aufzupolieren und sich dem Rest der Welt in bestem Licht zu präsentieren. Zynisch ausgedrückt: Da käme ein zu Tode gehungerter ukrainischer Regisseur sehr ungelegen.

Der Kreml sieht sich also einem Dilemma gegenüber. Damit er handelt, braucht es Druck von außen – und diesmal könnte er tatsächlich wirken. Schlimm genug aber, dass es dafür erst so weit kommen musste.

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Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

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