Nicaragua, die Revolution und das System Ortega

In der internationalen Politik ist 1979 eine Chiffre für Revolutionen und Konterrevolutionen. Sowjetische Truppen marschierten in Afghanistan ein, um den Aufstand der von der CIA-finanzierten Mudschaheddin zu beenden; der iranische Revolutionsführer Ajatollah Chomeini beendete die Herrschaft des Schahs und baute die islamische Republik auf. Und in Nicaragua übernahmen linke Guerilleros die Macht. Die sogenannte sandinistische Revolution beendete die 43 Jahre währende Dynastie des autoritären Herrschers Anastasio Somoza Debayle. Nach Kuba (1959) war es das zweite lateinamerikanische Land, das sich dauerhaft von den von den USA unterstützten Militärregierungen befreien konnte.

Von Anfang mit dabei war der heutige Präsident Nicaraguas, Daniel Ortega. Als Mitglied der fünfköpfigen Regierungsjunta war Ortega am Wiederaufbau des Landes beteiligt, von 1985 bis 1990 als Präsident. Die sandinistische Befreiungsfront (FSLN) hatte die Unterstützung von Gewerkschaften, Frauen- und indigenen Gruppen. Bis zu ihrer Abwahl im Jahre 1990 führten die Sandinisten eine Agrarreform durch, bauten ein kostenloses Schulsystem auf und stellten die zuvor ausgehebelten Bürgerrechte wieder her. Allerdings wuchs auch Kritik an den Sandinisten – unter anderem, weil sich ein Mann erfolgreich gegen die Demokratisierung der Partei stemmte: Daniel Ortega. Seit 1990 hatte die FSLN keinen anderen Vorsitzenden und nie einen anderen Präsidentschaftskandidaten.

Nach dem Jahr 2006 gelangten Institutionen und Staatsgewalten wie Parlament, Justizapparat, Wahlrat, Rechnungshof und Zentralbank nach und nach unter die Kontrolle Ortegas. Die Verfassungsbestimmung, nach der eine Wiederwahl verboten war, ließ er durch die Erklärung aushebeln, dass diese sein Menschenrecht, gewählt zu werden, verletze. Inzwischen kennt die Verfassung kein derartiges Verbot mehr.

Die Präsidentengattin Rosario Murillo, seit der Wahl 2016 als Vizepräsidentin auch mit formaler Macht ausgestattet, kontrolliert die kommunalen Strukturen Nicaraguas. Kein Bürgermeister darf eine Entscheidung treffen, ohne ihre Erlaubnis einzuholen. Die meisten Medien befinden sich in der Hand der Partei oder der Familie Ortega. Viele der neun Kinder des Ehepaars besitzen einen eigenen Fernsehsender oder üben über Werbeagenturen Einfluss auf die öffentliche Meinung aus.

María López, die in Managua die Monatszeitschrift envío herausgibt, spricht von einer „dynastischen Diktatur“. Es sei ein System aus Kontrolle und Wohltaten, die Loyalitäten schaffen – durch Programme wie „Null Hunger“, das vor allem Frauen mit einer landwirtschaftlichen Grundausstattung hilft; durch Landverteilung oder Empfehlungsschreiben für einen Job.

Diese Sozialprogramme wurden durch großzügige Öllieferungen aus Venezuela finanziert, denn einen Teil des billigen Öls durfte Ortega zu Weltmarktpreisen weiterverkaufen. Doch seit zwei Jahren ist diese Geldquelle versiegt. Venezuelas Präsident Nicolás Maduro kämpft selbst um sein politisches und wirtschaftliches Überleben.

Ein Teil dieser Gelder verschwand in den Taschen der Familie Ortega und ihrer Günstlinge, ein Teil wurde aber auch gut investiert: in bessere Straßen, neue Krankenhäuser, städtische Infrastruktur und den Ausbau der erneuerbaren Energiequellen. Die Unternehmerschaft kam dabei auf ihre Kosten und stützte das System. Die einflussreiche Kirche freute sich über die konservative Familienpolitik.

Das Ehepaar Ortega Murillo vermittelt den Eindruck, dass sämtliche Wohltaten allein seiner Güte zu verdanken seien. Ortega verbreitet immer noch revolutionäre Parolen, während seine Frau Rosario Murillo bevorzugt von Glaube, Liebe und Zärtlichkeit spricht.

Ralf Leonhard, Ralf Pauli