Benjamin Moldenhauer
Popmusik und Eigensinn
: Bezogen auf die Gewalt der Welt

Liest man ein Dutzend Rezensionen von Max-Richter-Alben quer, ergibt sich der Eindruck von etwas Regressivem. „Sämig“ soll diese Musik sein, „wie eine zweite Decke“ legt sie sich über den Hörer. Das achtstündige Album „Sleep“ hat das Einlullende von Richters Arbeiten zum strukturbildenden Konzept erhoben: Man soll anstandslos durchschlafen können.

Als funktionaler Klangteppich bleibt dieser Sound unschlagbar. Wo diese Stücke laufen, kann man gut pennen, arbeiten oder in den Regen stieren, je nachdem. Und hochwertig ist das alles auch. Gemeinsam mit vielen seiner Kollegen, die unter dem Label Neoklassik firmieren – Nils Frahm, Francesco Tristano, Hauschka und so weiter – trat Richter in der Konzertserie „Neue Meister“ auf. Seine Neukomposition der „Vier Jahreszeiten“ war die erste Richter-CD bei der Deutschen Grammophon. Alles an dieser Musik und der ihr beigegebenen Bildästhetik suggeriert Tradition wie auch den Reiz des Neuen: die bürgerliche Würde der klassischen Musik ohne die Behäbigkeit, die inzwischen mit ihr verbunden ist. Richter amalgamiert in unablässig fließender Bewegung Elektronik, Postrock und Satie, Minimal Music und Michael Nyman.

Biedermeierlich – ein Vorwurf, den man gegenüber Neoklassik oft findet und oft zurecht – will das nun gerade nicht sein. Vieles von dem, was Richters Klangästhetik mitbestimmt, bleibt thematisch bezogen auf die Gewalt der Welt. Ob im Kleinen (der Selbstmord Virginia Woolfs auf „Three Worlds: Music From Woolf Works“) oder im Großen (die Gewalt des Krieges auf „Memoryhouse“, „The Blue Notebooks“ und „Waltz with Bashir“), hier ist der Schrecken Anlass und Auslöser für eine wohlige Melancholie, die das Herz des Hörers angenehm umflort.

Eine befremdliche, faszinierende und eben tatsächlich auch berührende Form bürgerlicher Erhabenheit kristallisiert sich in diesen Klängen: Das alles passiert auf der Erde, dem kältesten der Planeten, und den Menschen, die kälter sind als die Steine; und wir können noch die musikalische Transformation des Schreckens in etwas Wundervolles genießen. Max Richters Musik klingt wirklich wunderschön, zu schön, um wahr zu sein, im wahrsten Sinne.