Aufstand
der
Boten

Der Lieferservice Foodora steht für die „Gig-Economy“: Die Fahrer arbeiten von Auftrag zu Auftrag, mit ihrer Firma sind sie nur über das Handy verbunden. Umso erstaunlicher, dass sich nun in Hamburg ein Betriebsrat gründet 44, 45

Jim ist einer der Fahrer, die für den Lieferdienst Foodora in Hamburg unterwegs sind

Text Annika Lasarzik Fotos Miguel Ferraz

Die App ist pünktlich, fast auf die Minute genau. Es ist kurz nach halb zwölf, als die erste Nachricht auf Jims Smartphone aufploppt, ein knapper Hinweis, der den Fahrradkurier zum nächsten Standort dirigiert: Eine McDonald’s-Filiale, ein Kilometer entfernt. Es ist ein heißer Tag, die Mittagssonne brennt vom Himmel. Jim steht im Schatten vorm Eingang des U-Bahnhofs Mundsburg, mit der einen Hand hält er den Lenker seines rosa Fixie-Bikes, in der anderen liegt sein Smartphone. Ein letzter Blick aufs Display: Ein Navigationsdienst in der App gibt den Weg vor, den Jim nun fahren muss. Das ist wichtig, denn in diesem Teil von Foodora-Hamburg, dem „Liefergebiet Ost“, kennt er sich nicht so gut aus, meistens ist er im Westen der Stadt unterwegs. Hier aber sind die Strecken länger, die Straßen breiter – und die Schichten entspannter, angeblich. „Hab ich von Kollegen gehört“, sagt Jim, als er den Gurt seines Fahrradhelms festzurrt, „die Leute bestellen weniger. Bei dem Wetter ja sowieso.“

Jim Steffen ist 25 Jahre alt, Germanistikstudent und fährt seit eineinhalb Jahren Essen für den Lieferdienst Foodora aus. Er wirkt auf den ersten Blick ganz so, wie man sich einen Fahrradkurier eben vorstellt: Jung, sportlich, unkompliziert. Als 450-Euro-Jobber finanziert er sich sein Studium durch den Job. Und den mache er gern, „weil ich mir die Schichten flexibel legen kann und gerne draußen bin“, wie er sagt.

Fürs Reden bleibt jetzt keine Zeit mehr, die Kunden warten. Und die App registriert jede Sekunde, die vergeht. Jim schwingt sich aufs Rad und fährt los. Mit seiner pinkfarbenen Arbeitskluft und der wuchtigen Thermo-Box auf dem Rücken sticht der Kurier wie ein bunter Farbklecks aus dem Asphaltgrau der Straßen hervor. Doch schräge Blicke zieht er nicht auf sich, warum auch: Der Anblick der Radler mit den klobigen pinken Rucksäcken ist im Hamburger Stadtbild längst zur Gewohnheit geworden. „Nur Touristen gucken manchmal komisch, die bleiben sogar stehen und machen Fotos“, sagt Jim.

Der Erfolg der Lieferdienste ist ein urbanes Phänomen, allein in Hamburg sind rund 200 Kuriere für Foodora unterwegs, in ganz Deutschland sind es mittlerweile 2.600 Fahrer in 34 Städten. Besondere Qualifikationen werden für den Job nicht verlangt. Doch ihre Arbeitsausrüstung bringen die Kuriere selbst mit: ein Fahrrad, ein Smartphone, inklusive Datenvolumen für die App.

Jim ist an seinem ersten Ziel für heute angekommen, eigentlich sollte es nun schnell gehen. Länger als vier Minuten muss er in den Fast-Food-Restaurants selten auf eine Bestellung warten. Dann dauert es doch länger. Zehn Minuten vergehen, da meldet sich die App – „delivery is overdue“, die Lieferung ist verspätet. Jim wirkt gelassen, auch dann noch, als sich die App ein zweites Mal meldet. Sollte er noch länger warten müssen, wird sich ein Mitarbeiter aus der Berliner Foodora-Zentrale bei ihm melden, einer der „Dispatcher“, die alle Lieferungen überwachen und per GPS-Tracking stets genau wissen, wo die Fahrer gerade sind.

Der Gedanke, bei der Arbeit permanent überwacht zu werden, stresst ihn nicht, sagt Jim. „Ich find’s ganz angenehm, dass mir im Zweifel jemand sagt, was ich tun soll. So kann ich Verantwortung abgeben.“ Es geht weiter, ein Mann in grauer McDonalds-Uniform reicht dem Fahrer in pinker Montur eine Papiertüte über den Tresen, obendrauf klebt ein Foodora-Siegel. Jim hakt den Bestellposten auf dem Smartphone ab. Erst jetzt verrät ihm die App den Namen und die Adresse des Kunden.

Also zurück aufs Rad, das Jim nun mit einer Hand durch die Straßen steuern wird – in der anderen balanciert er einen Softeisbecher, der im Rucksack umkippen würde. Als er die Bestellung kurz darauf abliefert, ist das Eis zu Brei geschmolzen. „Manchmal ist es schon absurd, was sich die Leute alles liefern lassen, obwohl sie selbst quasi um die Ecke wohnen“, seufzt Jim.

Fast eine Stunde ist inzwischen vergangen. Bis die App den nächsten Lieferbefehl erteilt, heißt es: warten. Um die Zeit zwischen den Lieferungen zu überbrücken, sollen sich die Foodora-Faher an zentralen Sammlungspunkten im Liefergebiet aufhalten, dort, wo viele Restaurants liegen. Jim fährt zurück zum Bahnhof Mundsburg, setzt sich auf eine Bank, das Smartphone immer im Blick.

Der U-Bahnhof Mundsburg im Hamburger Stadtteil Barmbek ist eine der Sammelstellen für die Foodora-Fahrer – in der Umgebung gibt es viele Restaurants

Wie lässt es sich arbeiten, wenn der Algorithmus einer App den Takt vorgibt? In den letzten Jahren gerieten Lieferdienste wie Foodora, Deliveroo oder Lieferando immer wieder in die Schlagzeilen, weil sie Arbeitsformen umkrempeln – und das wirft Fragen auf. Die Unternehmen gelten als prominente Beispiele der „Gig-Economy“: Gearbeitet wird von Auftrag zu Auftrag, feste Strukturen, Kontakt zu den Kollegen, einen gemeinsamen Arbeitsplatz gibt es nicht. Maximale Flexibilität gleich maximale Ausbeutung – auf Kosten der Fahrer?

Tatsächlich muss man schon genau hinschauen: Die Geschäftsmodelle von Foodora und Deliveroo sind zwar ähnlich, die Fahrer arbeiten allerdings zu unterschiedlichen Konditionen. Während der britische Konkurrent Deliveroo überwiegend Selbstständige beschäftigt, die pro Lieferung entlohnt werden, stellt Foodora alle Fahrer fest an, als Vollzeitkräfte, als Mini- oder Midijobber oder als Werkstudenten. Das Unternehmen übernimmt die Sozialversicherungsbeiträge, zahlt Urlaubs- und Krankengeld.

Die Bestellungen kommen in zwei Teilen – zuerst kommt die Nachricht, wo die Ware abzuholen ist, dann, wohin sie gebracht werden soll

Und doch: Die hippe Start-up-Fassade des Unternehmens hat Risse bekommen, die Kritik der Foodora-Fahrer an den Arbeitsbedingungen wird lauter. In Berlin formieren sich Kuriere von Deliveroo und Foodora in der „Deliverunion“, einer Gruppe, die von der anarchistisch-syndikalistischen Gewerkschaft FAU unterstützt wird. In Köln gründeten Mitarbeiter vergangenen Sommer den ersten Foodora-Betriebsrat Deutschlands. Und Hamburg folgt dem Beispiel: Am Freitag wurde auch hier ein Foodora-Betriebsrat gewählt, das Ergebnis wird in den nächsten Tagen bekannt gegeben.

Wenn man mit den Fahrern spricht, lautet ihre Kritik meistens ähnlich. An sich sei es „ein guter Job“, sagt etwa Matthias Weidner, der für den Hamburger Betriebsrat kandidiert und nebenberuflich bei Foodora arbeitet. Doch die Arbeiter bräuchten „endlich eine legitimierte, demokratische Vertretung“. Die Kommunikation mit der Führungsebene sei oft chaotisch, der Austausch unter den Kollegen komme zu kurz – ein Kritikpunkt, den viele Fahrer teilen.

„Ich glaube, befristete Verträge sind heute einfach die Regel. Und viele arbeiten ohnehin nicht lange bei Foodora“

Jim, Fahrer bei Foodora Hamburg

Die Kandidaten für den Betriebsrat fordern einen Zeitausgleich für die Schichtplanung und die Instandhaltung der Arbeitsmittel. Ein Problem sei auch die Abwälzung von Materialkosten: Inzwischen gibt es für geplatzte Reifen oder gebrochene Rahmen zwar eine Verschleißpauschale in Höhe von 25 Cent pro Arbeitsstunde, aber das sei zu wenig, klagen die Fahrer. In Hamburg können sie das Guthaben ohnehin nur in einer einzigen Fahrradwerkstatt einlösen, weil die mit Foodora kooperiert: „Was ist das für ein umständlicher Kuhhandel?“, fragt einer der Fahrer.

Auch mit dem Lohn sind nicht alle zufrieden: Bis zu 13 Euro könne man verdienen, verspricht Foodora. In Hamburg bekommen die Fahrer 9 Euro pro Stunde, den Rest sollen sie sich durch Trinkgeld hinzuverdienen. Früher hab es mal einen 1-Euro-Zuschlag für Schlechtwettertage, doch der wurde abgeschafft. Durch ein neues Bonussystem sollen die besten 15 Prozent der Fahrer einen Euro pro Stunde dazuverdienen. Doch wie der Algorithmus funktioniert, der die besten Mitarbeiter auswähle, ist vielen Mitarbeitern nicht klar.

Und die Verträge? Sind auf ein Jahr befristet. Manche Fahrer stört das nicht mal, so auch Jim: „Ich glaube, das ist heute einfach die Regel. Und viele arbeiten ohnehin nicht lange bei Foodora, die machen das neben dem Studium und wechseln bald in andere Jobs.“ Sich für Arbeiterrechte einzusetzen, wird durch die kurzen Verträge zumindest nicht leichter: Die Fluktuation unter den Fahrern ist hoch, die meisten verlassen den Betrieb nach vier Monaten wieder.

In Köln ließ Foodora den Vertrag einer Mitarbeiterin, die sich dort im Betriebsrat engagierte, auslaufen – doch einen Zusammenhang mit ihrer Betriebsratstätigkeit bestreitet das Unternehmen. „In dem Fall gab es andere Kündigungsgründe aus dem Arbeitsalltag“, sagt Sprecher Vincent Pfeiffer. Foodora stehe den neuen Betriebsräten „offen und transparent“ gegenüber, man wolle in Zukunft „eng mit den Vertretern des Gremiums zusammenarbeiten“.

Pfeiffer räumt Fehler ein: In der Kommunikation verlaufe „nicht alles ideal“, mit „solchen Hürden kämpft man eben als junges Unternehmen“. Foodora sei „kein böser Arbeitgeber“, sagt er. Die Bezahlung? „Fair und angemessen.“ Befristungen? „Nun mal gang und gäbe. Ich hätte ja auch gerne einen unbefristeten Vertrag.“

Die Haltung ist klar: Das Unternehmen erfüllt die Rahmenbedingungen, der Rest ist Aufgabe der Politik. Allerdings haben die Fahrer, mit denen die taz gesprochen hat, nicht den Verdacht geäußert, dass Foodora die Arbeit des Betriebsrats torpedieren wolle. Im Gegenteil, sie ärgerten sich über „polemische“ Medienberichte, in denen die Arbeit bei sämtlichen Lieferdiensten „in einen Topf geschmissen“ werde.

„Ich glaube, der Betrieb ist manchmal selbst überfordert“, sagt Jim, als er sich auf den Weg zu einer Pizzeria macht, um dort die letzte Lieferung des Tages abzuholen. „Und trotzdem sollten wir Fahrer eine Stimme bekommen.“