BSAG-Vorstand über ÖPNV-Tarife: „Preissenkung ist überlegenswert“

Damit mehr Leute auf Bus und Bahn umsteigen, fordert die Bremer Fraktion der Grünen ein Jahresticket für einen Euro am Tag. Hajo Müller von der BSAG ist nicht abgeneigt.

Eine Straßenbahn in der Bremer Innenstadt

Bahnfahren muss nicht teuer sein. Kann Bremen diesbezüglich von Wien lernen? Foto: Jean-Philipp Baeck

taz: Herr Müller, was halten Sie von der Idee, dass die Jahreskarte für Bus und Bahn nur noch 365 Euro kostet?

Hajo Müller: Das ist eine schwierige Frage. Erst mal begrüße ich es außerordentlich, dass eine Diskussion angestoßen wird, die den ÖPNV in Bremen stärken soll. Dafür die Tarife zu senken, ist sicherlich sehr überlegenswert. Ich würde das aber etwas einschränken: Der Vorschlag muss sehr gut überlegt sein und kann nicht ohne begleitende Maßnahmen funktionieren. Zunächst muss sichergestellt werden, wie so ein Angebot finanziert wird.

Wie könnte so eine Finanzierung aussehen?

In der Diskussion ist das Wiener Modell. Die Wiener haben den Preis für ihr Jahresticket auf einen Euro pro Tag gesenkt. Dadurch sinken auch die Einnahmen. Die werden dann an anderer Stelle teilweise gegenfinanziert. In Wien haben sie etwa die Parkraumüberwachung ausgebaut, das Parken teurer gemacht und die Strafe fürs Schwarzfahren auf 100 Euro erhöht. Wichtig ist aber vor allem das Plus an Fahrgästen. Dieses Beispiel zeigt, wie es gehen kann. Der Anteil der PKW am Verkehr hat sich da zwischen 1993 und 2015 von 40 auf 27 Prozent verringert – während der Anteil des ÖPNV von 29 auf 39 Prozent gestiegen ist.

Lässt sich das denn auf Bremen übertragen?

Das wesentliche Erfolgskriterium ist: Man muss so eine Preissenkung wirklich wollen und die Realisierung konsequent angehen. Natürlich hat Bremen andere Strukturen als die Metropole Wien, aber im Nahverkehr lässt sich schon eine Vergleichbarkeit herstellen.

Mit günstigeren Bus- und Bahntickets, Elektrobussen und weniger Parkhäusern wollen die Bremer Grünen eine „auto- oder emissionsfreie Innenstadt“ erreichen.

Der Umstieg auf das „Wiener Modell“ ist Teil eines Konzepts, das die grüne Fraktion vor rund einer Woche beschlossen hat.

Wien hatte 2012 den Preis für eine ÖPNV-Jahreskarte um fast 20 Prozent gesenkt - auf 365 Euro im Jahr.

Fast 50 Millionen Euro nahmen die Verkehrsbetriebe in Wien dadurch mehr ein, weil sich die Zahl der Tickets verdoppelte.

Was genau müsste passieren, damit das auch hier klappt?

Wir müssten das Angebot ausweiten, die Takte verkürzen und genug Fahrzeuge haben. Unter Umständen muss es mehr Buslinien geben oder sogar mehr Bahnschienen. Das hat zum Teil erhebliche Vorlaufzeiten, daran muss man denken. Nur den Preis zu senken, wäre kontraproduktiv. Der Nahverkehr müsste außerdem eine Vorrangstellung bekommen. Zürich zum Beispiel macht das konsequent: Wenn da Bus oder Bahn an die Ampel kommen, springt die direkt auf grün. Denn nichts ist frustrierender, als wenn die Leute den ÖPNV nutzen wollen und dann kommt kein Fahrzeug oder es steht auch im Stau. Dann fragt sich jeder: Was soll der Quatsch?

Das denken sich die Bremer jetzt vielleicht bei den Ticketpreisen. Ein Schüler-Jahresticket kostet 570 Euro, fast doppelt so viel wie in Berlin…

Bei dem Vorschlag der Grünen müsste man sich natürlich das gesamte Ticketangebot anschauen und die Preise insgesamt senken, nicht nur den eines Jahrestickets.

Den Grünen geht es insbesondere um Umweltschutz. Fühlt sich die BSAG in dem Bereich auch verantwortlich oder geht es Ihnen in erster Linie um Wirtschaftlichkeit?

Nein, das definitiv nicht. Wir fahren immerhin schon seit 1892 mit elektrischen Straßenbahnen, was ein wesentlicher Umweltbeitrag seit über 100 Jahren ist. Wir fühlen uns in hohem Maße den Klimaschutzzielen verpflichtet. 60 unserer Busse haben bereits den Euro-6-Standard und wir arbeiten sehr stark daran, mehr Elektromobilität zu nutzen.

61, ist kaufmännischer Vorstand der BSAG. Bis 2009 war er Manager der Bahn.

Gab es zu dem Positionspapier Gespräche zwischen der BSAG und den Grünen?

Über einige der Inhalte reden wir regelmäßig mit den Parteien, das gilt aber genauso für SPD und CDU. Und es gibt auch immer wieder Anfragen zu Fachfragen.

Ist das Ziel, den Anteil des Nahverkehrs auf 20 Prozent zu steigern auch Ihres?

Das Ziel ist schon älter, es stand im Verkehrsentwicklungsplan. Da hatte man sich auf 18 Prozent geeinigt, die Grünen haben ambitioniert noch etwas draufgeschlagen. Da sollte aber definitiv nicht Schluss sein. Eine Größenordnung von 25 Prozent ist überhaupt kein Problem. Auch andere Städte, die mit uns vergleichbar sind, liegen bei 19 oder 20 Prozent. Das muss auch für Bremen eine Messlatte sein, die wir immer wieder ein Stück höher legen.

Ein weiteres Ziel des Positionspapiers ist es, den Tarif­dschungel zu beseitigen …

Ja. Ich empfinde die ganzen verschiedenen Tarife als Zumutung für den Kunden. Ich beobachte immer wieder, dass Kunden Schwierigkeiten haben, ein einfaches Ticket von A nach B auszuwählen. Da sind alle Verantwortlichen gefordert, das zu vereinfachen.

Könnten Sie als BSAG das nicht einfach tun?

Tariffragen sind Verbundangelegenheiten. Ich will nicht die Schuld auf den Verkehrsverbund schieben, wir sind schließlich der größte Partner. Aber wir müssen mit allen gemeinsam eine Lösung finden. Und auf der anderen Seite fordern auch Politikerinnen und Politiker, den Tarifdschungel zu vernichten, wollen gleichzeitig aber Sondertickets für Senioren und Jugendliche, und, und, und. Das ist dann schwierig.

Wäre das 365-Euro-Ticket nicht für beides die Lösung: zu teure Tickets und komplizierte Tarife?

Es könnte ein sehr guter Einstieg sein und die Menschen überzeugen, den Nahverkehr statt dem Auto zu nutzen – vorausgesetzt, dass parallel die notwendigen Maßnahmen mitentwickelt werden.

Wäre in Bremen auch eine Nahverkehrsabgabe denkbar, wie sie die Grünen etwa für Stuttgart fordern?

Naja, das wäre eine der Gegenfinanzierungsmaßnahmen zu Preissenkung oder sogar kostenlosem Nahverkehr. Ich halte das unter bestimmten Bedingungen für durchaus überlegenswert, zum Beispiel in Bezug auf die Entscheidung der Europäischen Kommission, Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen, weil wir unsere Klimaschutzziele nicht erreichen. Durch so eine Abgabe könnte man den Anteil des Nahverkehrs in besonders stark betroffenen Städten schnell erhöhen. Das ist aber keine generelle Lösung.

Wie geht es nach dem Vorschlag der Bremer Grünen jetzt weiter?

Das, was wir als BSAG aktuell planen, machen wir alles nach dem Verkehrsentwicklungsplan, zusammen mit der Stadt. Es ist nicht so, dass wir jetzt vorauseilenden Gehorsam praktizieren. Das können wir auch gar nicht, da brauchen wir erst einen Auftrag.

Und bis es den gibt, passiert bei Ihnen erst mal gar nichts?

An Teilen dessen, was in dem Positionspapier der Grünen steht, arbeiten wir bereits intensiv, aber Tarifmaßnahmen sind stark davon abhängig, was die Politik entscheidet. Zu dem Positionspapier muss es also zunächst einen politischen Diskurs und dann eine Entscheidung des Senats geben.

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