Die Antieuropäer einigen sich auf Koalitionsvertrag

Die rechtsextreme Lega und die linksradikalen Fünf Sterne halten ihre Wahlversprechen: weniger Steuern, Rentenreform und Bürgereinkommen. Mit der EU will man sich nur ein bisschen anlegen

In Italien nicht anstößig: sich mit dem Chef der Wutbürgerpartei Fünf Sterne, Luigi Di Maio, sehen zu lassen Foto: Andrea Ronchini/NurPhoto/afp

Aus Rom Michael Braun

Nun ist es so weit. Italien wird wohl bald von Antieuropäern regiert. Am Mittwochabend stellten das Movimento 5 Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung) unter Luigi Di Maio und die Lega unter Matteo Salvini ihr Regierungsprogramm vor. Die gute Nachricht: Es sieht weder einen Austritt Italiens aus dem Euro noch ein Referendum über die Mitgliedschaft in der Währungsunion noch einen Schnitt der öffentlichen Schulden vor. Die schlechte Nachricht: Die beiden Anti-System-Parteien werden in Zukunft auf diversen Feldern, von der Haushaltsdisziplin bis zur Flüchtlingspolitik, einen offenen Konfrontationskurs mit der EU und der Eurogruppe einschlagen.

40 Seiten umfasst der von den beiden Wutbürger-Parteien ausgehandelte Koalitionsvertrag – und die haben es in sich. Vorneweg wollen die Lega und die Fünf Sterne ihre zentralen Wahlversprechen umsetzen. Mit ihren Verheißungen hatten sie am 4. März bei den Wahlen triumphiert, hatte das M5S 32,7 Prozent und die Lega 17,4 Prozent geholt und damit Italiens politischem System ein Erdbeben beschert. Zunächst schien eine Regierungsbildung dank der Pattsituation im Parlament, in dem sich drei Lager gegenüberstehen, ausgeschlossen. Denn die Lega zählte zur Rechtsallianz um Silvio Berlusconi, die insgesamt 37 Prozent erreichte. Die gemäßigt linke Partito Democratico dagegen war auf 18,7 Prozent abgestürzt, hatte sich auf die Oppositionsrolle verlegt und Gespräche mit dem M5S kategorisch ausgeschlossen.

Den Weg zur Regierungsbildung machte dann Berlusconi frei, indem er Lega-Chef Salvini grünes Licht für den Pakt mit dem M5S gab und seine Drohung, die Rechtsallianz sei dann aufgekündigt, zurücknahm. Damit können jetzt jene zwei Parteien die Regierung bilden, die zumindest in der Vergangenheit beide mit harten Ausfällen gegen die EU und den Euro von sich reden machten – ein absolutes Novum in Westeuropa.

Das wichtigste im Regierungsprogramm aufgegriffene Versprechen der Lega ist die „Flat Tax“ bei der Einkommens- und Unternehmensbesteuerung. Der Vertrag sieht vor, dass bei den Einkommen nur noch zwei Steuersätze von 15 beziehungsweise 20 Prozent gelten sollen, während Unternehmen generell nur noch mit dem 15-Prozent-Satz besteuert werden sollen. Diese Maßnahme kommt vorneweg den Beziehern mittlerer und hoher Einkommen zugute – und damit der nördlichen Hälfte des Landes, in der die rechtspopulistische Lega ihre Hochburgen hat.

Arbeitnehmer mit niedrigeren Einkommen dagegen gehen leer aus. Doch auch an sie hat die Lega gedacht: mit der Reform der 2012 auf dem Höhepunkt der Eurokrise verabschiedeten Rentenreform. Diese sah eine Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre vor, die jetzt teilweise zurückgedreht werden soll. In Zukunft soll die „Formel 100“ zum Tragen kommen, wobei 100 für die Summe aus Lebensalter und Beitragsjahren steht. Wer also 62 Jahre alt ist und 38 Jahre Beiträge abgeführt hat, darf dann wieder mit 62 Jahren in Rente gehen.

Das M5S wiederum hatte vor allem in Süditalien Resultate von teils über 50 Prozent mit der Forderung nach einem „Bürgereinkommen“ erreicht, und auch dieses findet sich jetzt im Regierungsprogramm. Arbeitslose im erwerbsfähigen Alter genauso wie Bezieher von Kleinst­renten sollen in Zukunft 780 Euro pro Monat erhalten. Allerdings handelt es sich hierbei nicht, wie der Name suggeriert, um ein bedingungsloses Grundeinkommen, sondern eher um ein Hartz IV: Der Bezug ist an die Bereitschaft geknüpft, Arbeitsangebote anzunehmen, alternativ Fortbildungen zu besuchen oder gemeinnützige Arbeiten zu verrichten. Eingeführt werden soll das Grundeinkommen allerdings erst im Jahr 2020, da im nächsten Jahr erst einmal – mit Ausgaben von zwei Milliarden Euro – die Arbeitsverwaltung auf Vordermann gebracht werden soll.

Schon diese drei Programmpunkte sind sündteuer. Die Steuermindereinnahmen mit einer Flat Tax werden auf circa 50 Milliarden Euro jährlich geschätzt, das Bürgereinkommen brächte Ausgaben von 17 Milliarden Euro mit sich, die Rentenreform circa 26 Milliarden Euro.

Den zukünftigen Koalitionspartnern macht all das keine Sorgen. Die Steuerreform sorge für „höheren Konsum und höhere Investitionen“, heißt es im Vertrag, damit erweitere sich in Zukunft die Summe der besteuerbaren Einkommen. Und wenn Defizitlatten gerissen werden, ist das kein Problem: Die „europäische ökonomische Governance“ beginnend beim Stabilitätspakt müsse einer Generalrevision unterzogen werden, natürlich „gemeinsam mit den anderen europäischen Partnern“. Wie das gehen soll, verschweigt der Vertrag; ebenso wenig enthält er eine Antwort auf die Frage, was Italiens Regierung denn tun wird, wenn aus Brüssel und Berlin ein kräftiges Nein kommt.

Ein Nein aus Brüssel ist ganz gewiss zu zwei Forderungen zu erwarten: dazu, in Zukunft Investitionsausgaben aus dem staatlichen Defizit rauszurechnen, ebenso wie dazu, die Gesamtschuldenquote mit dem Rechentrick zu senken, dass die in den letzten Jahren von der EZB aufgekauften Staatsschuldtitel einfach nicht beim Schuldenstand mitgerechnet werden sollen, der für Italien ja stolze 132 Prozent des BIP beträgt.

Die Lega, die sich in den letzten Jahren verstärkt fremdenfeindlich aufgestellt hat, konnte sich zu guten Teilen auch auf dem Feld der Flüchtlingspolitik durchsetzen. Massenabschiebungen abgelehnter Asylbewerber stehen oben auf der Liste. Erneut aber wird verschwiegen, wie die Rückführungen umgesetzt werden sollen. Außerdem fordert der Koalitionsvertrag eine Revision des Dublin-Abkommens; an seine Stelle soll die Aufteilung der Flüchtlinge auf alle EU-Mitgliedsstaaten treten.

Für reichlich Konfliktstoff in Europa wäre also gesorgt. Doch ehe es so weit kommt, muss die Regierung erst einmal gebildet werden. Noch konnten die beiden Partner sich nicht auf einen Regierungschef einigen. Außerdem wollen sie am kommenden Wochenende ihre Mitglieder über den Koalitionsvertrag abstimmen lassen. Und der kommt an der Basis gut an: Der Stopp wichtiger Infrastruktur-Großprojekte ist dort genauso zu finden wie die Rücknahme der aktuellen Schulreform oder die Neufassung des Notwehrparagrafen. Demnach würden Personen, die in ihrer Wohnung einen Einbrecher erschießen, generell straffrei bleiben.

Zwar schreibt fast die gesamte Presse gegen die Koalition an. Dennoch konnte die Lega in den Umfragen der letzten Tage auf nunmehr über 20 Prozent zulegen, während die Fünf Sterne stabil über 30 Prozent liegen. Und die Anhänger beider Parteien billigen mittlerweile auch mehrheitlich deren Zusammengehen. Es ist also so weit. Am Montag könnte Staatspräsident Sergio Mattarella offiziell den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen.

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