Hertha BSC und seine Fans: Die alte Tante und der Fortschritt

Neue Marketingstrategien stoßen bei alten Fans auf wenig Begeisterung – und fruchten ebenso wenig bei den anvisierten neuen.

Transparent im hertha-stadion

Protest der Fans beim Spiel Mitte April gegen Köln: „Preetz, Schiller, Herrich, Keuter & Co. – Eure Prioritäten: ein Griff ins Klo“ Foto: dpa

Am Ende werden Fans wieder sagen, dass es um Werte gehe. Und Hertha wird sich dieser Moraldebatte entziehen und sagen: Es geht um Zukunft. „Die wirklichen Fans des Fußballs sollten sich nicht vor dem Fortschritt fürchten, sondern vor dem Stehenbleiben“, verkündete Herthas neuer Marketingchef und fußballerischer Alien Paul Keuter kürzlich. So viel über die Konfliktlinien.

Hertha wird am morgigen letzten Spieltag ein vermutlich gewohnt mäßiges Spiel gegen Leipzig abliefern. Das Stadion wird – wie immer in dieser Saison – nicht ausverkauft sein. Pinke Trikots wird niemand tragen; Hertha soll Hertha sein, wie es immer war.

Hertha BSC, die ewig Selbstsuchende, ist kein Verein urtümlicher Fan-Nähe. Keine selbstsichere Wagenburg wie Union. Als Person wäre diese Hertha vielleicht ein Teen-Girl, das geliebt werden will, egal wofür und am liebsten von denen, die es garantiert nicht tun. In Herthas Fall: Hipstern, Start-up-Gründern, Expats.

Seit zwei Jahren setzt die Clubführung viel daran, deren Herzen und pralle Designer-Geldbörsen zu erstürmen. „Es gibt einen Berlin-Boom. Aber wir haben davon bisher null profitiert“, so sieht Keuter das. Wöchentlich wechselnde Slogans, PR-inszenierte Kniefall-Aktionen, stündliche Tweets, pinke Trikots sollen Hertha so richtig Berlin machen. Und entfremden die Kernklientel.

Inhaltlich ist die PR-Offensive dabei erstaunlich leer: wenig soziale Aktionen, die tatsächlich Sympathie schaffen würden, keine politischen Statements, bei denen etwas auf dem Spiel stünde. Alles risikoarm, austauschbar, aber neongrell. Die neue Hertha ist ein wild hüpfendes Maskottchen, das sich bemüht, keinem potenziellen Neu-Interessenten auf die Füße zu treten. Und dabei lange erstaunlich sorglos auf die Füße der alten Anhänger trat.

Pal Dardai will die Saison unbedingt mit einem Heimsieg abschließen und damit die Fans nach einer durchwachsenen Saison verwöhnen. Vor allem im eigenen Stadion ist Hertha BSC in der aktuellen Spielzeit viel schuldig geblieben. "Die Fans sollen nochmal feiern", erklärte Dardai vor der Partie am Samstag (15.30 Uhr) gegen RB Leipzig.

Während es für die Sachsen noch um den lukrativen Einzug ins internationale Geschäft geht, spielt der Berliner Fußball-Bundesligist nur noch für einen guten letzten Eindruck. "Der bleibt über den Sommer", bemerkte Dardai: "Ich erwarte einen großen Fight." Tabellenplatz zehn soll verteidigt werden. Mit 22 Punkten liegt Hertha in der Heimtabelle nur auf Rang 15. Im Jahr 2018 haben die Berliner im Olympiastadion nur ein einziges Mal gewonnen, dazu kamen fünf Remis. (dpa)

Anfang April ist der gärende Streit zwischen Teilen der Ultras und dem Verein öffentlich explodiert. „Der Ball geht immer noch analog ins Tor“, plakatierten Fans da unter anderem. Und so medienwirksam wie selbstüberschätzend: „Keuter, dein Ende naht.“ Vermutlich hat nie ein Markenchef derartige Beißreflexe ausgelöst wie Keuter bei Hertha; im Fanforum dreht sich eine mittlerweile zwölfseitige Debatte um ihn.

Der Keuter-Hass ist auch innerhalb der Szene kontrovers. Die Ultras von den Harlekins haben nicht überall Freunde; dass sie seit Monaten Gesprächsangebote der Vereinsführung ignorieren und sich in ihrer Traditionssehnsucht so wichtig fühlen, findet nicht jeder gut. Viele finden es sinnvoll, dass Hertha neue Zuschauergruppen erschließt.

Hertha BSC, die ewig Selbstsuchende, ist kein Verein urtümlicher Fan-Nähe.

„Teile der Fans basteln sich ihre Realität und schotten sich ab“, erklärte Keuter nach den Plakaten im April. Dialog hat Hertha seinen Anhängern offenbar tatsächlich mehrfach angeboten, aber gleichzeitig Protestplakate zensiert und die Fans via Bild und B. Z. attackiert. Wenig überraschend kam das nicht gut an. „Arrogant“ und „überheblich“ nannten bei einem ­großen Fantreffen im April mehrere Redner die Vereinsführung.

Und die Ultras, die ja auch Medien können, haben inzwischen der Morgenpost unter Pseu­donym ein Interview gegeben. Kieztouren oder Partnerstädte in Brandenburg würden bei Hertha nicht mehr gepflegt, es gebe keine Sommerfeste oder Saisoneröffnung. „Es gibt keinen echten Kontakt zwischen Fans und Verein.“ Jahrelang habe er funktioniert, nun sei er innerhalb eines Jahres kaputt. Bei der Planung der Jubiläumsfeier habe man die Fans ausgebootet, Versprechen, etwa keine Testspiele gegen RB Leipzig zu bestreiten, gebrochen.

Hertha BSC äußert sich auf Anfrage der taz dazu nicht konkret. „Wir stehen mit unserer aktiven Fan-Szene in Kontakt und haben mehrere Daten für ein Gespräch übermittelt“, heißt es vom Verein. Davor wolle man sich nicht öffentlich äußern. Das zeugt zumindest von einer gewissen Lernkurve in Sensibilität.

Sollte es Gespräche geben, werden sich die Fans neuen Wegen nicht verschließen dürfen. Und Hertha BSC wird anzweifeln müssen, ob seine Marketingstrategie verfängt. Die gewünschte Klientel spricht diese offenbar nicht an. Hertha hatte in dieser Saison den mit Abstand den größten Zuschauerrückgang in der Bundesliga. Die Hipster, in ihrer großen Verehrung für Retro und Vintage einigen Ultras gar nicht unähnlich, wollten sie nicht lieb haben, die grelle Hertha.

Am Samstag bestreitet Hertha sein letztes Ligaspiel. Der Ausgang ist maximal egal: Am Ende steht entweder Platz 11 oder Platz 10. Außer Trainer Dardai, der immer irgendwie gut findet, was Hertha gerade leistet, begeistert das selbst in den Kneipen von Charlottenburg und Reinickendorf niemanden.

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